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Akute Kippgefahr

Nur noch ein Stumpf ist übrig von der einst 15 Meter hohen Robinie, die in der Frankfurter Straße gefällt worden ist. Foto: Holger Pegelow
Nur noch ein Stumpf ist übrig von der einst 15 Meter hohen Robinie, die in der Frankfurter Straße gefällt worden ist. Foto: Holger Pegelow

Auto beschädigt Robinie • Heftige Kritik nach Baumfällung

Bad Vilbel. Die Empörung ist groß in Bad Vilbel. Adressat ist die Stadt. Die hatte in der Frankfurter Straße einen rund 15 Meter hohen Baum fällen lassen. Daraufhin brach in den sozialen Netzwerken ein Shitstorm los.

In der Frankfurter Straße ist es brütend heiß. Das Thermometer klettert gen 30 Grad. Als der Reporter in der Frankfurter Straße 110 von einem abgesägten Baumstumpf ein Foto macht, kann sich eine Passantin nicht mehr beherrschen. »Es ist kaum zu glauben«, sagt die Vilbelerin, »jetzt gibt es hier in der Haupteinkaufsstraße schon kaum Bäume, und dann das.« Das, das ist erst wenige Tage her. Da rückte die städtische Gärtnereikolonne an und fällte den Baum.
Für viele kam das überraschend. Was war passiert? Ein Auto hatte wohl beim Rangieren den Baum angefahren. »Ein Nachbar hat uns verständigt«, berichtet Stadtrat Klaus Minkel (CDU), in dessen Verantwortungsbereich das Gartenamt fällt. Daraufhin habe man sofort einen Sachverständigen eingeschaltet. Das Baumkontroll- und Sachverständigenbüro Thomas Sinn schickte einen Mitarbeiter in die Innenstadt. Und der stellte fest: akute Kippgefährdung.

15 Meter Stammhöhe, Zehn-Meter-Krone
Das ist schon deshalb ärgerlich, weil der Baum, eine Robinie, erst wenige Tage zuvor turnusmäßig kontrolliert worden war. Der 15 Meter hohe Baum mit einer Kronenbreite von zehn Metern und einem Stammdurchmesser von 30 Zentimetern war seinerzeit in »zufriedenstellendem Allgemeinzustand«.
Aufgrund des Anpralls war jedoch eine »auffällige durchgehende Stiefstämmigkeit« aufgefallen. Der Experte prüfte und sah einen angehobenen Wurzelteller. Der Baum sei offenbar angeschoben worden, mithin im Wurzelwerk gelockert worden. »Es bestand akute Kippgefahr«, schrieb er in sein Gutachten an den städtischen Fachdienst Park- und Gartenanlagen.

Stadtrat Minkel sagt, die Stadt habe eine Garantenstellung wegen der Bäume im öffentlichen Bereich. »Sie muss bei entsprechendem Gutachten fällen, um Haftung und Strafverfolgung bei Personenschäden abzuwehren.« Mithin rückte die Gartenkolonne an und fällte den beachtlichen Baum.
Das löste Proteste aus, »eine Bad Vilbeler Spezialität«, wie Minkel meint. »Mein Beileid« heißt es auf Facebook, annähernd 100 Kommentare folgen. Die Stadt habe, so lautet einer der Vorwürfe, die Unterschriftensammlung für den Erhalt der Bäume völlig ignoriert. Das sei der achte gefällte Baum in der Frankfurter Straße innerhalber der letzten Jahre. Die Stadt bekomme »wohl die Zehn voll«. Oder es würden im Zusammenhang mit der geplanten Gehwegerneuertung alle Bäume gefällt.
Einer vermutet, vor dem Erzweg 4 werde die große Birke auch noch gefällt. Es sei unterlassene Hilfeleistung, weil sich niemand darum kümmere. Erster Stadtrat Sebastian Wysocki (CDU) postet, der gefällte Baum sei umsturzgefährdet gewesen. Daraufhin postet eine Nutzerin, in Frankfurt gebe es einen Skandal um korrupte Gefälligkeitsgutachten. Wysocki antwortet, es habe aus Sicherheitsgründen keine Alternative gegeben. Der Stadtrat verweist auch darauf, dass die Bäume in der Frankfurter Straße »mit äußerst schwierigen Standortbedingungen« zu kämpfen hätten.
Eine Nutzerin nennt es »eine Schande«, dass der Baum gefällt wurde, ein anderer fragt, ob der Platz »für Tische und Stühle gebraucht wird«. Im Laufe der Facebook-Diskussion wird ebenso die Frage gestellt, warum es keine Paten für die Bäume gibt. Die große Trockenheit ist diskutiert worden, aber auch die Frage der Sicherheit. Einer meint, die Zeit der Stadtbäume gehe zu Ende, nicht zuletzt wegen der großen Hitze und der zunehmenden Trockenheit.

Minkel reagiert verärgert auf die Kritik. Er selbst habe in der Frankfurter Straße und am Schöllberg schon vor rund 30 Jahren viele Bäume pflanzen lassen. »Vorher gab es dort nichts.« Die hysterischen Reaktionen und die boshaften Unterstellungen im Internet wegen der Fällung der Robinie seien eine Bad Vilbeler Spezialität. In Frankfurt würden derzeit 4500 bis 5000 Bäume im Jahr gefällt, »sozusagen im Stundentakt, ohne dass hyperventilierende Kritiker gemeldet werden«. Der Baum in der Frankfurter Straße 110, sagt er, werde nachgepflanzt.

Netz-Ärger gab es aber nicht nur wegen der gefällten Robinie in der Frankfurtrer Straße, sondern auch wegen der Birken, die im Kurpark nahe der Mulde gefällt worden sind. Dazu äußert sich der zuständige Stadtrat: Auch der Fällung der Birken im Burgpark habe ein Gutachten zugrunde gelegen. Im Burgpark seien aber insgesamt 100 Bäume gepflanzt worden, »ein Vielfaches der Fällungen«. Bad Vilbel habe im ökologischen Bereich eine enorme Leistungsbilanz. »Das wird von einigen krawalligen Kritikern geflissentlich ausgeblendet.«

Gartenamt kümmert sich um16 000 Bäume

Das Bad Vilbeler Gartenamt betreut rund 16 000 Bäume. Bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von 100 Jahren müssen jedes Jahr rund 150 Bäume gefällt werden. Aufgrund längerer Trockenperioden kann diese Zahl allerdings steigen. Die Stadt hat nach Angaben von Stadtrat Klaus Minkel eine zweite Kolonne von drei Mann eingestellt. Außerdem wurde ein weiterer Tankwagen für die Bewässerung angeschafft. (pe)