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Amiwiese – Kriegszustand – DER KOMMENTAR

Die Auseinandersetzung zwischen der Stadt und der Bürgerinitiative „Rettet die Amiwiese“ wird härter von Tag zu Tag. Was erst nur ein Disput und lockerer Schlagabtausch in der Aufwärmphase war, wächst sich längst zum Konflikt aus. Jetzt tobt der Krieg. Er wird vorerst nur mit verbalen Mitteln geführt, wobei jedoch auch schon mit juristischen Splitterbomben und Artilleriesalven gedroht wird, die man laut einer Warnung des BI-Sprechers Uwe Wittstock bei einer Versammlung am Dienstag, 17. Juni, im Heilsberger Bürgerhaus scharfmachen will.

Dort soll die Ausbildung der Kombattanten erfolgen, um den Bau neuer Häuser auf dem Heilsberg notfalls durch juristische Scharmützelgefechte zu verhindern. Die Beratung ist kostenlos, wird wahrscheinlich aus der Kriegskasse, dem Etat für Aufrüstung, finanziert.

Weil der Rathauschef renitent ist und sich wehrt, weil er vor den Bewohnern der Generalshäuser in der ehemaligen amerikanischen Offizierssiedlung nicht geschlagen das Schlachtfeld räumen und das Heer der Stadtverordneten zurückpfeifen will, zieht ihm Wittstock als Kostprobe schon mal einen strammen Satz quer über den Schädel, wirft dem Bürgermeister „defizitäres Demokratieverständnis“ vor und stellt ihn als eine Art Trickdieb an den Pranger, der Friedfertigen die Ferienruhe stiehlt. So weit, so gut!

Als literarisch versierter Feldmarschall der BI setzt ihr Pressesprecher Wittstock schon mal effektvoll die Hyperbel ein, das Stilmittel der Übertreibung. Er benutzt diesen Kniff gezielt für das Abschreckungsmanöver, spricht daher von „rigoroser Verdichtung des Heilsbergs“, von „Baupolitik auf Kosten der Lebensqualität“.

Lebensqualität, oh ja, die gibt es zwar nicht überall auf dem Heilsberg, dafür aber umso weitläufiger in der ehemaligen Amisiedlung. Große Grundstücke, breite Straßen, teuer gekaufte Häuser, die teuer renoviert sind. Es riecht hier nach Geld, nach Wohlstand. Sackgasse um Sackgasse, links wie rechts der Carl-Schurz-Straße, über die sich die Amiwiese erstklassig erschließen ließe, kurze breite Sackgassen, allesamt gepflastert mit roten Steinen, fast schon wie mit Samt ausgelegt, und ohne Ausnahme als Spielstraßen ausgewiesen. In jeder Straße ein oder zwei aufgestellte Basketballkörbe, man muss sich da wie in Amerika fühlen, hat aber Frankfurt am Main gleich um die Ecke.

In diesem Teil der Welt ist von Enge nirgendwo auch nur eine Spur. Da begreift man schnell, dass hier niemand gestört sein will, durch neue Heilsberger, neue Kinder, die Krach machen, Autos. Da sammelt man lieber ruckzuck eine halbe Million Euro, um der Stadt die Wiese, den Schneid und den Handlungsspielraum abzukaufen, damit es ein für alle Mal Ruhe in der Hütte gibt.

Der Wohlstand hier oben, auf dem Heilsberg, der scheint aber auch der Grund zu sein, dass die von Wittstock und seinen schlagfertigen Truppen als „sozialer Treffpunkt aller Heilsberger“ angepriesene Amiwiese oft ziemlich menschenleer ist.

Gleich dreimal am Montag, einem sonnigen, aber nicht zu heißen Tag, ideal für Wiesenspiele, besuchte ich das grüne Fleckchen im Heilsberger Niemandsland. Morgens um zehn niemand da, um 12.50 Uhr immer noch kein Zipfel einer Menschenseele zu erblicken, obwohl es zur gleichen Zeit auf anderen Spielplätzen, etwa beim Römerspielplatz, sehr lebhaft zugeht. Auch abends, kurz vor 18 Uhr herrscht hier so gut wie kein Betrieb. Ein Junge fährt mit einem Fahrrad rum, zwei spielen Basketball. So sieht der gähnend leere „soziale Treffpunkt“ aus: Der Himmel blau, das Gras grün und dazwischen nichts anderes als „tote Spielgeräte“, nicht mal ein Hund, der neben den Weg „pfeffert“.

Will die bis zum Letzten entschlossene BI diesen Feldzug auch nur irgendwie gewinnen, dann müssen in nächster Zeit die Kinder als „Beweismasse“ ins Grüne befehligt werden, notfalls per hausinternem Erlass. Die Kinder – gleich sieben auf einen Streich – fahren scheinbar lieber oben, in der ersten Seitenstraße, der Albert-Einstein-Straße, Rollschuhe. Sie spielen hier auch in Höfen, sind sicher aufgehoben in Blickweite der Mütter und Väter. Die Amiwiese braucht zu diesem Zeitpunkt keiner. Dort wächst das Gras langsam in Hüfthöhe und in irgendeinem Haus, ganz in der Nähe, wird BI-Sprecher Wittstock, ungestört an einem Eiskaffee nippen, an einem kühlen Bierchen vielleicht, und an seinem nächsten Märchen schreiben.

Friede, Freude, Eierkuchen und idyllisch lässig baumelnde Seelen überall – könnte man meinen. Aber die Ruhe trügt, denn, wie gesagt, der Krieg ist weder vorbei noch gewonnen, die Material-Schlacht hat gerade erst begonnen. Die Generäle schwitzen über den Landkarten, studieren die Topographie, entwerfen Szenarien, Strategien, analysieren die Schwächen des Gegners für den entscheidenden Angriff – frontal, oder doch lieber von der grünen Flanke aus. Eine seltene Kröte, sei es auch nur eine rare Heuschrecke, wäre jetzt die Rettung fürs Friedensabkommen.

Horst Samson

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