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Der Rücktritt schmerzt – Das Wort zum Sonntag

Frau Dr. Margot Käßmann wird uns in der evangelischen Kirche als Ratsvorsitzende der EKD und hannoversche Landesbischöfin fehlen. Denn sie hat klug und pointiert theologische Ansichten in die gesellschaftliche Diskussion eingebracht. Manch einer hat sich über ihre Aussagen geärgert, andere waren begeistert. Die Frau hat Charisma, eine starke Ausstrahlungskraft, sie kann Menschen begeistern – sonst wäre sie nie in ihre Leitungsaufgaben gewählt worden.

Viele Menschen sprechen mich in den letzten Tagen auf der Straße oder in Gemeindegruppen an. Der Tenor war meist: „Wie schade.“ – „Welch ein Verlust.“ Wir haben über den hohen Druck gesprochen, dem die Ratsvorsitzende ausgesetzt war. Kann man die Häme der Kontrahenten, boshafte Anspielungen anderer auf Dauer aushalten?

Und dann las ich den Bibelvers, das Motto für die Woche: „Erinnere dich, Gott, deiner Barmherzigkeit“ (Psalm 25, Vers 6).

Barmherzig – gehen wir Menschen in unserer Gesellschaft und in unseren Kirchen und Gemeinden so miteinander um? Dass wir anderen von Herzen Erbarmen zukommen lassen, anderen einen begangenen und eingestandenen Fehler vergeben, nicht mehr davon sprechen, sondern die Vergangenheit ruhen lassen und wieder neu miteinander beginnen? Tratsch und boshafter Klatsch, die alten Fehler-Geschichten immer wieder aufwärmen, in alten Wunden bohren – solch ein Verhalten ist unbarmherzig.

Angesichts der Alkoholfahrt, die zum Rücktritt von Frau Käßmann führte, ist es klar: Sie hat einen Fehler gemacht, einen schweren. Aber ich begleite seelsorgerlich immer wieder Menschen, die ihren Führerschein für eine Zeit verlieren, weil sie sich mit Alkohol hinters Steuer gesetzt hatten. Sie halten es vor Freunden und Kollegen geheim, um unangenehmen Fragen und dem Spott zu entgehen. Aber keine und keiner käme auf die Idee, dass sie deshalb ihre Arbeitsstelle aufgeben müssten.

In der Geschichte um die Bischöfin wird uns vor Augen geführt, welch ein hoher ethischer Maßstab für leitende Persönlichkeiten in der Kirche gilt: Sie sollen vorbildlich, sogar „besser“ leben als die meisten Normalchristen. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Und das finde ich sehr schwierig. Denn so ist es nicht gemeint mit der christlichen Ethik. Sie spricht alle an. Hier lautet die Frage: Wie verhalte ich mich? Wie verhalten wir uns als Kirchengemeinde? Können wir uns im Alltag unserer Barmherzigkeit erinnern? Ist sie selbstverständlicher Teil unseres Alltagslebens?

Für mich ist es keine Frage, dass Gott sich seiner Barmherzigkeit erinnert. Daran glaube ich aus tiefstem Herzen. Aber ob wir Menschen es hinbekommen?

Es würde unserem Leben gut tun, wenn wir miteinander darüber sprächen und für uns selbst herausfänden, wie wir in unserem Alltag barmherzig sein können – ganz selbstverständlich und ohne viel Aufhebens.

Pfarrerin Dr. Irene Dannemann,

Heilig-Geist-Kirche Heilsberg