Veröffentlicht am

Ein Tick zu dick – Kinderbürgermeisterin und Ökotrophologin Sylvia Becker-Pröbstel bei der Awo

Bad Vilbel. Kinderbürgermeisterin Sylvia Becker-Pröbstel, Diplom-Ökotrophologin mit Beratungsschwerpunkt „Ess-Störungen bei Kindern und Jugendlichen“, referierte auf Einladung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) über „Adipositas: Ein Tick zu dick – übergewichtige Kinder in Deutschland“. Das Thema betrifft viele Menschen: Etwa 25 Prozent der Kinder, 42 Prozent der Frauen und 58 Prozent der Männer in Deutschland sind übergewichtig.

Wie die Referentin ausführte, gibt es in den vergangenen zehn bis 15 Jahren einen übermäßigen Anstieg an übergewichtigen Kindern. Der Grundstein für Übergewicht werde bereits in der frühen Kindheit gelegt. So würden Ess- und Freizeitverhalten, Bindungsfähigkeit und Selbstwertgefühl in den ersten Jahren geprägt. Das natürliche Sättigungsgefühl werde durch falsche Erziehung („Iss deinen Teller leer!“) zerstört, so die Referentin. Eine Untersuchung an 20 000 Kindern im Alter von drei bis 17 Jahre habe gezeigt, dass 6,3 Prozent der Kinder unter Adipositas litten, also starkem Übergewicht und zu viel Körperfett.

Übergewicht wird mittels des Körpermasseindex BMI (Körpergewicht in Kilo, geteilt durch Körpergröße in Metern zum Quadrat) gemessen und klassifiziert. Ein BMI unter 25 gilt als akzeptabel, wer zwischen 25 und 30 liegt, gilt als übergewichtig. Erwachsene mit einem BMI über 30 leiden unter Adipositas.

Ursachen für den Anstieg der Fettleibigkeit in der Bevölkerung sind laut Becker-Pröbstel eine positive Energiebilanz, Veranlagung sowie der moderne Lebensstil der Generation „Fast Food“, der mit einer Fehlernährung und Bewegungsmangel einhergehe. Aber auch chronischer Stress, Leistungsdruck, Ess-Störungen, nächtliche Fressattacken oder Medikamente kämen hinzu. „Der Leistungsdruck bei Kindern ist enorm hoch. Eltern erwarten Dinge von ihren Kindern, die sie selbst nie geleistet haben“, sagte die Kinderbürgermeisterin.

Ess-Sucht begründe sich in der Suche nach Anerkennung, Glück, Sicherheit, Harmonie und Liebe. Ausgelöst werde sie durch ein geringes Selbstwertgefühl. Bei Kindern sei Adipositas oft auch Teil einer persönlichen Überlebensstrategie: Die Nahrungsaufnahme diene nicht der Sättigung, das Essen übernehme die Funktion einer Droge. Zu den psychosozialen und gesundheitlichen Problemen übergewichtiger Kinder (Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, orthopädische Beschwerden, Jod- und Kaliummangel) kämen Scham- und Schuldgefühle und soziale Isolation hinzu.

Becker-Pröbstel verwies darauf, dass Betroffene und ihre Familien in einer Ernährungstherapie Hilfe fänden, die mit Bewegungssteigerung, Verhaltensänderung, eventuell Medikamenten, chirurgischen Verfahren und einer Psychotherapie einhergehe.

Die Kosten für ernährungsbedingte Erkrankungen betragen der Referentin zufolge 80 Milliarden Euro und die durch Übergewicht entstehenden Folgekosten 20 Milliarden Euro.

Mit Verboten lässt sich Becker-Pröbstel zufolge wenig erreichen. Besser sei Vorbeugung mit Verhaltens- und Verhältnisänderung, bei der die Verantwortung geteilt und die Kompetenz gestärkt werde.

Vorbildlich sei das ganzheitliche Präventionskonzept „Kiks up“ der Stadt Bad Nauheim. Bad Vilbel arbeite zurzeit auch an einem Präventionskonzept. Anfänge wie das Mentorprogramm in der Gronauer Grundschule, der Trialog der Kulturen in der Brunnenschule oder die XXL-Gruppe in der Kennedyschule gebe es bereits, betonte Becker-Pröbstel. Anlaufstellen auf der Suche nach Hilfe seien neben Ärzten, Krankenkassen, Ernährungsberatern, Gesundheitsämtern und Psychotherapeuten auch spezielle Einrichtungen wie das Frankfurter „Balance Zentrum für Essstörungen.“