Veröffentlicht am

Ein Volk im Uniform-Taumel – Burgfestspiel-Eröffnung mit Carl Zuckmayers „deutschem Märchen“ vom „Hauptmann von Köpenick“

Bad Vilbel. Spätestens seit dem Film mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle (1956) ist „Der Hauptmann von Köpenick“ eine Berliner Ikone wie der Bär oder das Brandenburger Tor. Und so ist dieser „Hauptmann“ auch Generationen von Fernsehzuschauern in Gestalt Rühmanns ein Begriff. Auf der Bühne wurde die Paraderolle zuerst von Werner Krauß gespielt, später von vielen anderen bekannten Darstellern: Von Erich Ponto über Carl Raddatz und Rudolf Platte bis zu Otto Sander sowie Harald Juhnke (1997). Als Juhnke wegen Krankheit ausfiel, klebte sich die damalige Regisseurin Katharina Thalbach kurzentschlossen einen Bart an, schlüpfte in Militärmantel und Uniformhosen und wurde vom Berliner Publikum begeistert gefeiert. 

Nun soll der „Hauptmann von Köpenick“ auch in Bad Vilbel zum Stadtgespräch werden. Dies hoffen zumindest Regisseurin Barbara Neureiter und ihr Ensemble, die das Bühnenstück von Carl Zuckmayer gerade für die Eröffnung der Burgfestspiele (5. Juni) vorbereiten. Die Titelrolle spielt Jürgen Mikol, der vor Jahren bei dem „Name der Rose“ sein Debüt in der Quellenstadt gab.

Der Stoff geht auf eine wahre Begebenheit aus dem Jahre 1906 zurück. Damals rekrutierte der vorbestrafte und arbeitslose Schuster Wilhelm Voigt in einer im Trödel erstandenen Uniform einen Trupp Wachsoldaten, ließ in Köpenick die Bürgermeisterei besetzen und verschwand mit der Stadtkasse. Über soviel Dreistigkeit und Obrigkeitshörigkeit lachte ganz Deutschland – und wie die Legende erzählt, auch der eher als humorlos geltende Kaiser Wilhelm II.

Die Tat wurde als Köpenickiade zu einer festen Redewendung für einen Gaunerstreich, bei dem brave Bürger und Amtspersonen sich durch Amtsanmaßung oder andere Hochstapelei „gehorsam“ täuschen lassen. Kritiker des Kaiserreiches brachten den politischen Symbolgehalt des Gaunerstücks damals prägnant auf den Punkt, wie zum Beispiel der Kommentar der „Berliner Volkszeitung“: „In der Tat: Der Held von Köpenick, er hat den Zeitgeist richtig erfasst. Er steht auf der Höhe intelligentester Würdigung moderner Machtfaktoren. Der Mann ist ein Realpolitiker allerersten Ranges. (…) Der Sieg des militärischen Kadavergehorsams über die gesunde Vernunft, über die Staatsordnung, über die Persönlichkeit des Einzelnen, das ist es, was sich in der Köpenicker Komödie in grotesk-entsetzlicher Art offenbart hat.“

Zusätzliche politische Brisanz erhielt der Stoff mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Als Carl Zuckmayer 1930 das Thema aufgriff, waren die Nazis gerade zweitstärkste Partei im Reichstag geworden und bestrebt, die Deutschen in einen „Uniform-Taumel“ zu versetzen, wie der Schriftsteller schrieb. In seiner Bearbeitung stellte er Voigts Behauptung in den Mittelpunkt, es sei ihm nicht um den Raub der Kasse gegangen, sondern darum, einen Pass und damit eine amtliche Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Demnach bekam Voigt keine Arbeit, weil er keinen Pass hatte und einen Pass bekam er nicht, weil er keine Arbeitsstelle vorweisen konnte. Mit solch irrsinnigen Vorschriften der Bürokratie, die Antrags- und Bittstellern keinen Ausweg aus dem Teufelskreis lassen, erhielt die „Köpenickiade“ eine zusätzliche Bedeutung. Zuckmayer gab seinem Stück den Untertitel „Ein deutsches Märchen“.

Regisseurin Neureiter, die im Vorjahr die „Gefährlichen Liebschaften“ für die Burg inszenierte, belässt die Handlung in der Zeit des Kaiserreiches. Damals seien Leute in Uniform als „toll“ empfunden worden, was sich heute eher ins Gegenteil verkehrt habe. Um die Geschichte in die Gegenwart zu transferieren, wäre deshalb nach ihrer Ansicht eine Ironisierung der Bedeutung von Uniformen notwendig gewesen und dies sei nicht ihre Sache. 

Aber auch so seien die Bezüge zur Gegenwart offensichtlich, sind sich Neureiter und ihr Hauptdarsteller Jürgen Mikol einig. Den Schuster Voigt verstehen sie nicht so sehr als eine komische Figur als vielmehr als einen Menschen, der aufgrund seiner Biografie (Arbeitslosigkeit, keine Papiere, Gefängnis) aus der Gesellschaft herausgefallen ist. Sein Selbstbewusstsein sei durch den aussichtslosen Kampf gegen den bürokratischen Irrsinn und die Zeitumstände wie „hingemäht“. Durch den eher verzweifelten Trick mit der Uniform werde er plötzlich für seine Mitwelt als Individuum wieder sichtbar.
Während Zuckmayer im Stück die soziale Problematik in einem langen Vorlauf ausbreitet, konzentriert sich das Drehbuch von Helmut Käutners Spielfilm mit Heinz Rühmann mehr auf die eigentliche Köpenickiade. Deshalb hat Regisseurin Neureiter beide Vorlagen für ihre Inszenierung herangezogen. Obwohl mit Ausnahme von Mikol alle weiteren elf Schauspieler in zwei oder noch mehr Rollen schlüpfen, treten nicht so viel Figuren auf wie in Zuckmayers Original. Trotzdem würden viele kleine Geschichten erzählt, die sich zu einem „Erzählzopf“ fügen. Unterstrichen wird alles durch die Ausstattung und die Musik, die ebenfalls ein stimmungsvolles Bild der damaligen Zeit vergegenwärtigen.

Informationen über den gesamten Spielplan und Eintrittskarten gibt es im Festspielbüro, Klaus-Havenstein-Weg 1, Telefon (06101) 559455; oder per Internet unter www.kultur-bad-vilbel.de