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Lasst mich zur S-Bahn!

900 Unterschriften: Rollstuhlfahrer und andere fordern barrierefreien Umbau des Bahnhofs

Wer in Karben die S-Bahn nach Frankfurt nehmen will, muss gut zu Fuß sein. Nur über die lange Treppe zum Bahnsteig lassen sich die Züge der S 6 erreichen. Unzumutbar sei das in einer Stadt dieser Größe im Jahr 2017, finden Rollstuhlfahrer und andere Betroffene.

 

Karben. Bis zum Fuß der Treppe in der Unterführung kommt Angelika Link (52). Doch dann ist Endstation für sie. Von Karben nach Frankfurt kommen? Unmöglich. Die Petterweilerin ist an den Rollstuhl gefesselt. „14 Jahre lang bin ich jeden Tag morgens hier die Stufen hinaufgelaufen“, erzählt Angelika Link. Nach Frankfurt fuhr sie zur Arbeit in einer Bank. Dann, vor vier Jahren, die ernüchternde Diagnose: Sie leidet an Multipler Sklerose (MS), eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Langsam und stetig fallen ihr Bewegungen immer schwerer. Ihr linkes Bein ist fast lahm, wegen eines Bandscheibenvorfalls fallen alle Bewegungen schwer, ihre Hände werden immer wieder taub.

An Arbeiten ist so nicht mehr zu denken. Angelika Link ist inzwischen frühverrentet. Doch selbst wenn sie arbeiten wollte: Sie könnte nicht mehr wie früher zu ihrem Arbeitsplatz kommen. Mit dem Niederflur-Linienbus von Petterweil zum Bahnhof Groß-Karben ginge es ja noch. Mangels zu niedrigem Bussteig am Bahnhof wäre das aber auch schon haarig.

Erst mit S 6-Ausbau

Endgültig zu Ende wäre Angelika Links Arbeitsweg dann aber in der Bahnhofsunterführung. Die Treppe hinauf zum Mittelbahnsteig und den Gleisen zwei und drei mit den Abfahrten nach Frankfurt ist für sie ein unüberwindbares Hindernis. „Diesen Weg kann ich nie wieder fahren“, sagt Angelika Link.

Sauer ist sie, und nicht nur sie: 900 Menschen haben in Karben eine Unterschriftenliste gezeichnet, fordern den schnellen barrierefreien Ausbau des Bahnhofs. Er ist von den Fahrgastzahlen her der viertgrößte in Oberhessen – nach Gießen, Marburg und Friedberg.

Der MS-Treff Karben und die örtliche Gruppe des Sozialverbandes VdK haben die eindrucksvolle Liste am Dienstagnachmittag an Bürgermeister Guido Rahn (CDU) überreicht. Verbunden mit der Forderung von Angelika Link: „Setzen Sie sich dafür ein, Herr Rahn!“ Umbauen müsste natürlich die Bahn den Bahnhof.

Ein erster Vorstoß der Stadt dazu sei vor 17 Jahren daran gescheitert, dass die Bahn damals nicht bereit gewesen sei, die laufenden Kosten für den Betrieb eines Fahrstuhls zu zahlen, erinnert Ekkehart Böing, der städtische Verkehrsplaner. Obwohl die Stadt den Einbau des Aufzugs sogar selbst bezahlen wollte. Erst kürzlich haben die Stadtverordneten erneut den schnellen barrierefreien Ausbau der Station gefordert, wollen dafür erneut städtische Gelder einsetzen.

Die Antwort der Bahn darauf hat der Bürgermeister gerade vor wenigen Tagen erhalten: Sie wolle das ja realisieren – aber wie bisher geplant erst mit dem S 6-Ausbau, wenn alle Bahnhöfe in der zweiten Baustufe von Dortelweil bis Friedberg umgebaut würden. „Realistisch gesehen wird das nicht vor 2030 geschehen“, seufzt Rahn.

Lift: Gleis im Weg

Peter Wolf-Schwalm vom MS-Treff schüttelt den Kopf. „Dann bin ich achtzig“, sagt er. „Dann brauche ich das auch nicht mehr.“ Viele Menschen benötigten dringend einen solchen ebenerdigen Zugang. „Nicht nur Rollstuhlfahrer“, mahnt Wolf-Schwalm. Auch Mütter mit Kinderwagen. Senioren, die nicht mehr so gut zu Fuß seien. Oder Reisende mit schwerem Gepäck.

Lässt sich keine Zwischenlösung einrichten? „Der Treppenaufgang ist zu schmal, um einen Treppenlift einzubauen oder Schienen“, erklärt Ekkehart Böing. Die Stadt habe aber die Bahn und den Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) zum Gespräch gebeten. Darin solle es auch darum gehen, ob es möglich ist, den für die Zukunft ohnehin vorgesehenen Fahrstuhl schon vor dem S-Bahn-Ausbau einzubauen.

Das sei jedoch nicht so einfach, gesteht der Fachmann: Der Lift soll neben der Treppe gebaut werden – und dort an die Oberfläche kommen, wo heute Gleis zwei verläuft. Das müsste daher vom Durchgangs- zum Stumpfgleis werden, das an einem Prellbock endet. „Bisher wird das Gleis für Überholungen von Güterzügen gebraucht“, sagt Ekkehart Böing. Ob die Überholmöglichkeit wegfallen könne, müsse die Bahn sagen. Ganz egal wie: Lieber heute als morgen hätte Angelika Link gern eine Lösung. „Ich werde dadurch von einem Teil des sozialen Lebens ausgeschlossen“, ist sie aufgebracht. Auch genügt ihr der Verweis auf den S-Bahn-Ausbau nicht. „Es ist doch eine Unverschämtheit, dass wir noch zwölf oder 15 Jahre warten sollen“, findet die Rollstuhlfahrerin. „Denn wir leben doch jetzt!“ (den)