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Stolpern über Schicksale – Bereits zum zweiten Mal verlegte Künstler Gunter Demnig Stolpersteine

Karben. „Möge seine Seele eingebunden werden in den Bund des Lebens.“ Rabbiner Andrew Steimann ruft die Umstehenden auf, sich an den Händen zu fassen. „Indem wir um die Stolpersteine für Moritz Grünebaum stehen, der in Lodz ermordet wurde und nie ein Grab hatte, schließen wir ihn wieder ein in die Gemeinschaft und geben ihm wenigstens für diesen Moment seine Würde zurück.“

Rund 50 Menschen fassen sich an den Händen und lauschen schweigend dem Gebet, das Steimann für den früheren Groß-Karbener Bürger spricht. In der Bahnhofstraße, durch die eben noch der Berufsverkehr toste, herrscht für wenige Minuten völlige Stille. Für das Gebet stoppen Ordnungsamt und Polizei mitten am Mittwochnachmittag den Autostrom.

Künstler Gunter Demnig aus Köln verlegt zum zweiten Mal Stolpersteine in Karben, mit denen die Stadt an ihre jüdischen Bürger erinnert, die vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 in den Stadtteilen lebten und von denen bis auf wenige Ausnahmen die meisten ermordet wurden. Die Recherche und Zusammenstellung der Daten als Vorarbeit für die Verlegung hat die Initiative Stolpersteine geleistet.

Die Stolpersteine sollen erinnern an „Bürger unserer Stadt, die mit uns als Nachbarn, Bekannte, Freunde oder als Mitglieder unserer örtlichen Vereine lebten, bis eine verbohrte Weltanschauung die Menschen ächtete und ihr Leben als nicht mehr lebenswert betrachtete“, sagt Bürgermeister Roland Schulz (SPD). An fünf Orten in der Bahnhofstraße in Groß-Karben sowie in der Rendeler Obergasse werden zehn Stolpersteine zum Gedenken an Moritz und Klara Ross, Moritz Grünebaum, Rosa und Beate Grünebaum, Familie Ross sowie an Lea Weinberg verlegt. Zwischen 40 und 80 Bürger sind bei den feierlichen Zeremonien dabei. Verena Fingerling, Caroline Ritz, Melanie Röder und Viktoria Weitzel aus den Oberstufenklassen der Kurt-Schumacher-Schule berichten vor den Häusern über die Schicksale der Menschen. Henryke Heuer aus Rendel spielt Klarinette. Die Chorgemeinschaft Rendel stimmte drei jüdische Lieder an. „Das war sehr bewegend“, findet Hartmut Polzer, Mit-Initiator der Stolperstein-Aktion in Karben.

Demnig, der in halb Europa schon 15 000 Steine verlegt hat, freut sich besonders über die Teilnahme von Schülern sowie über die Anwesenheit von Nachfahren. Es komme immer häufiger vor, dass Verwandte – „zumeist schon aus der Enkelgeneration“ – teilnähmen. Auch in Rendel nehmen Enkel, Ur- sowie Ururenkel von Lea Weinberg teil. In Groß-Karben wird Kurt Lamm Zeuge, wie für seinen früheren Schulkameraden Albert Ross ein Stolperstein ins Pflaster des Bürgersteigs in der Bahnhofstraße 24 eingelassen wird. „Ich interessiere mich für Geschichte“, sagt Schülerin Viktoria Weitzel (17), die das Schicksal der Familie Ross vorstellte. „Ich finde, die Geschichte seines Ortes sollte jeder kennen.“