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Botschaft neu entdecken

Protestanten organisieren für den Reformationstag viele Aktionen in der Stadt

Bereiten sich auf das Reformationsfest in der Stadt vor (von links): Ingo Schütz, Martina Radgen, Ulrike Mey, Johannes Misterek und Sören Sommer. Foto: Deul
Bereiten sich auf das Reformationsfest in der Stadt vor (von links): Ingo Schütz, Martina Radgen, Ulrike Mey, Johannes Misterek und Sören Sommer. Foto: Deul

Zu Ehren Martin Luthers mobilisieren sieben protestantische Gemeinden am 31. Oktober die ganze Stadt. An zahlreichen Stationen ist der Reformator neu zu entdecken: in Konzerten und Streitgesprächen. Bereits am Vortag gibt es für alle 1100 Bad Vilbeler Grundschulkinder ein großes Programm in Dortelweil.

Bad Vilbel. „Wir haben Lust, das in die Gesellschaft zu transportieren“, sagt Pfarrerin Ulrike Mey von der Christuskirche übers große Finale des Luther-Jahres. Zum 500. Jahrestag seiner Wittenberger Thesenanschläge sollen zahlreiche Aktionen in der ganzen Stadt für Aufmerksamkeit und fröhliche Stimmung sorgen. Sieben protestantische Gemeinden haben sich dafür zusammengetan, die Planungen reichen ein Jahr zurück. Am Ende werden es etwa 400 Helfer sein, die das zweitägige Programm stemmen.

Dabei ist das historische Datum 1517 keineswegs gesichert, merkt Pfarrer Ingo Schütz an. Erst 1547 sei es schriftlich festgehalten worden, „und die Legende wurde transportiert“. Doch wolle man „nicht nur den Lutherkult weiter betreiben“, ergänzt Mey. Es geht den Verantwortlichen vielmehr darum, Luthers Botschaft neu zu entdecken.

Das geht schon am 30. Oktober (Montag) los. Den Protestanten ist es gelungen, sämtliche Vilbeler Grundschulen mit ins Boot zu holen. Mit sechs Bussen werden alle 1100 Grundschüler morgens zum Dortelweiler Kulturforum gebracht. Auch 40 Jugendliche haben schulfrei, um an dem Bühnenprogramm mitzuwirken.

Ein Schüler

namens Martin

Das habe keine religiösen, sondern einen kulturellen Schwerpunkt, betont Schütz. Er selbst wird in einer der 45-minütigen Shows ins Luther-Gewand schlüpfen, um mit einem Schüler namens Martin zu diskutieren. Die Kernthese der Reformation erweist sich darin als Mut machendes Motto, nämlich „Angst überwinden durch Vertrauen“, sagt Schütz.

Ein Projektchor der Christuskirche singt, es gibt ein Quiz, gemeinsames Singen und eine große Malaktion. Klassenweise werden quadratmetergroße Lutherbilder ausgemalt, die am nächsten Tag entlang der Nidda am Kurpark ausgestellt werden. Es gibt aber auch anderes zu erleben: Die Kinder können eine echte Pferdekutsche ziehen, eine nachgebaute historische Druckpresse entdecken und einen Wartburg-Film mit Bad Vilbeler Schülern in den Hauptrollen ansehen.

Doch das ist nur das Vorspiel für den Reformationstag, der in diesem Jahr bundesweit erst-und einmalig auch ein Feiertag ist. Er beginnt in den sieben Gemeinden mit Andachten, bevor alle in die Stadt pilgern und sich an der Wasserburg mit Erbsensuppe der Gronauer Feuerwehre stärken können.

Um 12.50 Uhr eröffnen Turmbläser die Veranstaltung, bei der man im Ambiente der Burg ins Mittelalter eintauchen kann: mit Tanz zu Klängen einer Gambengruppe, mit „Luthers Gassenhauern“ zum Mitsingen und zum Mitrocken zum Sound der Kirchenband BON. Im Burgkeller stellt die Musikschule historische Instrumente zum Kennenlernen und Ausprobieren aus.

Der Gottesdienst unter dem Motto „Reformation 2.0“ startet symbolträchtig um 15.17 Uhr. Dass dort drei Prädikanten predigen, ist auch ein Ergebnis der Reformation: die Abkehr von der reinen Amtskirche. Denn Luther habe nicht nur religiöse, sondern gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche mitbewirkt, so Schütz. Beeinflusst habe die Reformation den Beginn der Neuzeit mit der Aufklärung, die deutsche Sprache, die Mündigkeit, sich auf sein Gewissen zu berufen, und die Errichtung von Schulen.

Schattenseiten

beleuchten

Apropos Gewissen: Auch Luthers Schattenseiten werden thematisiert, dass ihn ab 1537 drei Schriften „ganz klar als Antisemiten hervortreten ließen“, nachdem er zuvor eher judenfreundlich gewesen sei, so Schütz. Diese „zwei Gesichter des Martin L.“ treten bei Streitgesprächen an der Frankfurter Straße, Ecke Niddaplatz, zutage. Aber es gibt eine überraschende Wende. „Die Positionen drehen sich, es geht um den Umgang mit den eigenen Schattenseiten.“

Wer selbst lutherisch wirken will, der kann dies auf dem Kurhausvorplatz tun. Dort stehen Holzwände, die mit eigenen Thesenanschlägen ergänzt werden können. In der Stadtbibliothek können, ebenfalls von 13 bis 15 Uhr, Bibeln entdeckt werden: vom historischen Band bis zum Kinderbuch mit Legofiguren oder der modernen Bibel-App. Für Kinder gibt es Papiertheater-Aufführungen um 13.30 und 14.30 Uhr.

Alle Veranstaltungen sind komplett kostenfrei. Die Kosten von 12 000 Euro, davon ein Großteil für die Logistik der Busse, kommen dank Lotto Hessen, der Hassia Mineralbrunnen und der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau zusammen.


Neben dem Show- und Mitmachprogramm wird am Reformationstag auch zwischen 13 und 15 Uhr über Luthers Bedeutung heute diskutiert. Am 31. Oktober (Dienstag) gibt es vor dem Alten Rathaus zum Thema „Luther und die Obrigkeit“ Podiumsdiskussionen. Nach einem historischen Streitgespräch zwischen Luther und seinem Widerpart Thomas Münzer (ab 13 Uhr) diskutiert um 13.30 Uhr der FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn mit der Grünen-Politikerin Martina Feldmann über „Kirche und Staat – Ergänzung oder Einmischung?“. Über den Sinn von Religionsunterricht streiten schließlich um 14 Uhr der Religionspädagogik-Professor Thorsten Moos und Wolfgang Gebhardt vom Humanistischen Verband. „Die Kirche und das liebe Geld“ erörtern ab 14.30 Uhr der Wetterauer Dekan Volkhardt Guth und Pastor Clemens Breest. (dd)