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Den Großen Bruder lieben

Dramaturgin Angelika Zwack, Regisseurin Milena Wichert und Ausstatterin Dorothea Mines stellen dar, wir sie sich die Schauspieler im »Versuchslabor« vorstellen. Foto: Hans Hirschmann
Dramaturgin Angelika Zwack, Regisseurin Milena Wichert und Ausstatterin Dorothea Mines stellen dar, wir sie sich die Schauspieler im »Versuchslabor« vorstellen. Foto: Hans Hirschmann

Festspiele zeigen Orwells düstere Anti-Utopie »1984« im Burgkeller

Bad Vilbel. Was bisher hinter den Kulissen der Burgfestspiele vorbereitet wurde, wird nun am Sonntag, 5. Mai, mit zwei Premieren auch für die Zuschauer offenbar: Um 12 Uhr wird mit Rossinis »Aschenputtel« eine Oper für die ganze Familie gezeigt (siehe S. 15) und abends von 20 Uhr an im Theaterkeller die Anti-Utopie »1984« nach George Orwells Romanvorlage.

Satire wird heute allzuoft nur als ein pointenreiches und der Komik verpflichtetes Stilmittel von Kabarett und Comedy wahrgenommen. Dass Satire auch Schreckensbilder wie die eines mit bissiger Schärfe gezeichneten totalen Überwachungsstaates vor Augen führen kann, hat mit am eindringlichsten der englische Schriftsteller George Orwell mit seinem Roman »1984« gezeigt.

IMMER NOCH AKTUELL
Warum diese bereits 1948 entstandene satirische Anti-Utopie aufgrund von technischen wie auch gesellschaftlichen Entwicklungen eher an Aktualität gewonnen als verloren hat, ist Thema einer Bühnenversion, die Regisseurin Milena Wichert mit ihrem Stab für Bad Vilbel erarbeitete.

Mit der Inszenierung wollen die Festspiele nicht nur Erwachsene ansprechen, sondern auch Schüler und Jugendliche. Insofern liegen die Vorstellungstermine der rund 70-minütigen Inszenierung auch oft an Vor- und Nachmittagen.

Orwells düstere Vision hat unter anderem stark die Science-Fiction-Literatur beeinflusst. Selbst wem die Geschichte von 1984 im Einzelnen nicht bekannt ist, so weiß fast jeder was gemeint ist, wenn von einem »Orwell-Staat« und einer Gedankenpolizei die Rede ist, und was der Satz »Big Brother ist watching you« bedeutet.

Der »Große Bruder« ist zwar nie sichtbar aber allgegenwärtig. Verlangt wird nicht nur absoluter Gehorsam, sondern stetige Liebe zum »Big Brother« und dem totalitären Herrschaftssystem. »Krieg ist Frieden«, »Sklaverei ist Freiheit« und »Unwissenheit ist Stärke« lauten die Grundprinzipien, die alles auf den Kopf stellen und an denen keine Zweifel erlaubt sind.

Solche Zweifel kommen bei Winston Smith dann doch auf, und er muss sich vor der »Gedankenpolizei« hüten. Winston arbeitet im »Ministerium für Wahrheit« und hat  die Aufgabe, mit »alternativen Fakten« historische Dokomente nach den neuen Parteirichtlinien zu »aktualisieren«. Er fängt an, seine »Arbeit« mit geheimen Tagebuchnotizen zu hinterfragen und beginnt mit der ebenfalls nicht linientreuen Julia eine verbotene Affäre.

Sie müssen sich dabei nicht nur vor den Teleschirmen (Video-Kameras) in Acht nehmen, sondern auch abwägen, wem sie Vertrauen schenken können, und wer ihnen als Spitzel gefährlich sein könnte.

Auch stellt sich die Frage, ob es die von der Propaganda immer wieder beschworene Untergrundbewegung »Die Bruderschaft« überhaupt gibt oder sie nur als fiktives Feindbild der Legitimierung der Kontroll- und Unterdrückungsmechanismen herhalten muss.

Winston und Julia fliegen auf, sie werden verhaftet, im »Ministerium für Liebe« verhört und gefoltert, um schließlich ihre »Liebe zum großen Bruder« wieder zu verinnerlichen.
Für Regisseurin Milena Wichert ist Orwells »1984« ein zeitloser Roman, denn es geht um ein System, das nur von oben verordnete Wahrheiten zulässt und unterschiedliche Sichtweisen unter Strafe stellt. Die Frage von heute sei, inwieweit verharren wir auch ohne Zwang oft einfach nur bequem in den Filterblasen, die uns im digitalen Zeitalter umgeben, und ab wann sind wir bereit, eigene Positionen zu entwickeln und persönliche Verantwortung zu übernehmen.

VIDEO UND SOUND-DESIGN
Orwells 1984-Handlung lässt Wichert von den Darstellern in einem »Versuchslabor« erzählen, das mal Arbeitszimmer, vermeintliches Versteck und Verhörraum ist. Hierfür hat Ausstatterin Dorothea Mines einen puristisch ausgestatteten Raum mit transparenten Wänden auf die Bühne gestellt. Auf die Wände werden auch Video-Einspielungen projeziert, für die eigens die Filmemacherin Céline Keller in den Regiestab geholt wurde. Weiteres Mitglied des Produktionsteams ist die Sound-Designerin Louisa Beck, die mit eigenen Kompositionen und Akustik-Ideen atmosphärisch eine weitere Komponente hinzufügt. Dem Publikum wird mit modernen Mitteln des Theaters also einiges geboten. Regisseurin Wichert und ihr Stab hoffen, dass die Zuschauer am Ende auch einiges zum Nachdenken über ihr eigenes Verhalten mitnehmen werden.

Alle Vorstellungstermine der Festspiele sind unter www.kultur-bad-vilbel.de zu finden, auch Infos zu Schulvorstellungen.