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Fürsorge wird übertrieben

„Elterntaxis“ verursachen gefährliches Auto-Chaos vor Schulen

Jeden Tag staut es sich hier, weil Eltern ihre Kinder so nah wie möglich an der Europäischen Schule absetzen wollen. Foto: Kopp
Jeden Tag staut es sich hier, weil Eltern ihre Kinder so nah wie möglich an der Europäischen Schule absetzen wollen. Foto: Kopp

Jeden Morgen müssen 11 000 Grundschulkinder in der Wetterau zur Schule. Und jeden Mittag zurück nach Hause. Manche laufen oder radeln. Aber die meisten kommen mit dem Mama- und Papa-Taxi. Vor Schulen und Kitas gibt’s Staus, ein wildes Manövrieren, lebensgefährliche Fahrbahn-Überquerungen. Dagegen gibt es wirksame Mittel, behaupten Experten.

Bad Vilbel. Es ist verrückt: Damit die Sprösslinge pünktlich und sicher zur Schule oder in die Kita kommen, fahren Eltern sie direkt vor die Tür – und sorgen so für Staus, Verzögerungen und Unfälle. Der Bad Vilbeler Stadt-Sprecher Yannick Schwander sagt: „Es gibt Eltern, die einfach nicht wollen, dass ihre Kinder laufen.“

Vor der Kita Kunterbunt an der Elisabethenstraße gibt es weder Parkplätze noch Platz an der Fahrbahn, sagt Mirjam Fuhrmann von der Arbeitsgemeinschaft der Vilbeler Kita-Elternbeiräte. So halten die Eltern-Taxis einfach auf der Straße. Katastrophal sei die Situation an der Europäischen Schule Rhein-Main (ESRM) in Dortelweil: Da stehe man schon mal eine Viertelstunde im Stau, bis die ganzen Eltern-Vehikel wieder abgerückt sind. Jüngst ist dort sogar ein Mädchen durch ein Auto vom Fahrrad gestoßen worden (wir berichteten). „Dabei gibt es ganz in der Nähe, zum Beispiel am Rathaus, große Parkplätze, wo man die Kinder rauslassen kann“, sagt Fuhrmann. Doch die Eltern wollten ihren Kleinen selbst die wenigen Schritte bis zur privaten Kita und Schule ersparen.

Die Schulleitung appelliert auf ihrer Homepage, die Kinder ein Stück laufen zu lassen. Die Wege sind auf einem Luftbild deutlich markiert. Und die Eltern-Kurzparkzone ist mehrfach und deutlich markiert. Trotzdem halten Eltern auch dort, wo sie den Verkehr gefährden. „Unsere Straßenverkehrsbehörde arbeitet an einem Konzept für eine zweite Zufahrt“, sagt Schwander. Ob das wohl hilft?

„Kiss & Fly“ am GBG

Am Georg-Büchner-Gymnasium (GBG) werden die Eltern darauf hingewiesen, dass sie ihre Kinder nicht direkt vor der Schule rauslassen sollen. Es gibt einen „Kiss & Fly“-Parkplatz in der Nähe, an dem die Eltern ihre Kinder absetzen können. Das Konzept werde gut angenommen, so ein Schulvertreter. Und an der Stadtschule im Zentrum gibt es die Kampagne „Zu Fuß zur Schule“. Zum Beginn des Schuljahres werden dort Schülerlotsen eingesetzt, die Ordnungspolizei sichert den Weg ab, und die Kinder lernen beim gemeinsamen Schul-Gang, worauf es im Verkehr ankommt. Trotzdem – Parkverbote, Polizeipräsenz und Aufklärungsaktionen können das gefährliche Elterntaxi-Phänomen nur lindern, nicht aber abschaffen.

Viele Eltern fürchten nun einmal um die Sicherheit ihrer Kleinen, sagte Polizeipräsident Bernd Paul bei einer Fachtagung der Verkehrswacht im Friedberger Kreishaus. „Wir haben es mit einer übertriebenen Fürsorge zu tun.“ Dabei bringe das Elterntaxi die Kinder nachweislich mehr in Gefahr als der Gang zur Schule. Besonders gefährlich seien Eltern, die unterwegs telefonieren, Whatsapp-Nachrichten schreiben und entgegen der Fahrtrichtung in zweiter Reihe parken. „Wenn die Kinder erleben, dass die Eltern bei der Fahrt nicht angeschnallt sind, dann merken sie sich das für ihr späteres Leben und machen es selbst genauso.“

Wie man Eltern-Taxis loswerden kann, erklärte der Verkehrswissenschaftler Jens Leven aus Wuppertal vor etwa 60 Eltern- und Behördenvertretern im Kreishaus. Mit seinem Drei-Säulen-Modell lasse sich die Zahl der Elterntaxis etwa halbieren. Und mehr Kinder könnten auf dem Schulweg ihre Sinne stärken, mit anderen kommunizieren und wach in den Unterricht gehen.

Situation analysieren

Zunächst braucht es eine Analyse der Schulwege und der Situation vor der Schule, so Leven. Breite Fahrbahnen und viele Autos überfordern die Sechs- bis Zehnjährigen. Oft helfe es, eine „Gehweg-Nase“ weiter in die Fahrbahn zu ziehen und Zebrastreifen dort anzulegen, wo die Leute wirklich über die Straße wollen. Die zweite Säule besteht aus Bring- und Hol-Zonen, wo die Eltern ihre Kinder ein- und aussteigen lassen können. Die sollen nach Levens Erfahrungen mindestens 250 Meter von der Schule entfernt liegen.

Die dritte Säule ist das „Verkehrszähmungsprogramm“: Die Kinder lernen, wie sie vom Parkplatz zur Schule laufen können. Sie malen gemeinsam gelbe oder blaue Fußspuren auf den Gehweg. Sie berichten im Unterricht, was sie auf dem Schulweg gesehen haben. Sie können bei besonders großer Aufmerksamkeit „Zaubersterne“ bekommen. Und wenn die Klasse genügend davon beisammen hat, erfüllen die Lehrer ihnen einen Wunsch. So motiviert man die Kinder zum Laufen, sagte Jens Leven. „Und sie wirken dann effektiv auf ihre Eltern ein, damit die ihr Fahrverhalten ändern.“ Ob das wirklich gelingt?