Veröffentlicht am

Hilfe für die Helfer

Thorsten Mebus betreut in seiner Freizeit Menschen, die im Mittelmeer Flüchtlinge retten

Gar nicht weit von hier, ertrinken Menschen: Thorsten Mebus berichtete von seinem Einsatz als Notfallseelsorger für im Mitttelmeer agierende Rettungskräfte. Foto: nes
Gar nicht weit von hier, ertrinken Menschen: Thorsten Mebus berichtete von seinem Einsatz als Notfallseelsorger für im Mitttelmeer agierende Rettungskräfte. Foto: nes

Drei leere Holzboote hat das Rettungsschiff „Sea-Watch 2“ an zwei Tagen vor Libyens Küste gesichtet. „Wahrscheinlich sind dort zuvor um die 450 Menschen ertrunken“, bilanziert Thorsten Mebus am Sonntag bei einem Vortrag in der Christuskirche. Der Gemeindereferent kümmert sich nebenamtlich als Notfallseelsorger um Rettungsteams.

Bad Vilbel. Wenn er nicht im Einsatz ist, erfährt Thorsten Mebus per E-Mail von den meist grauenvollen Neuigkeiten auf dem Mittelmeer. So erfuhr er an diesem Wochenende, dass die Retter auf der Sea-Watch 2 mehrere leere Boote entdeckten. Was mit den Insassen geschah, wird niemand erfahren. Von Neujahr bis Ende April verschwanden 1100 meist junge Menschen auf dem Mittelmeer, schätzt Thorsten Mebus.

Grauenvolle Wahl

Der 45-jährige Gemeindereferent der Christuskirchen Pfarrei arbeitet in seiner Freizeit als Notfallseelsorger beim Roten Kreuz. Das führte ihn auch auf die Mittelmeerinsel Malta, wo er sich um traumatisierte Retter von Flüchtlingen kümmert. Kürzlich berichtete er bei einem Kirchencafé über dieses extrem düstere Kapitel unserer Gegenwart.

Die schlimmsten Momente passieren beim Eintreffen der Helfer beim vollgestopften Flüchtlingsboot, erzählt Mebus. Die Menschen stehen dann auf, strecken sich den Rettern entgegen und fallen ins Wasser. Die meisten können nicht schwimmen. „Als Retter muss ich dann entscheiden: Welche Hand ergreife ich zuerst? Egal, welche das ist – einen anderen sehe ich dann vor mir im Wasser versinken. Das ist etwas ganz Grauenvolles.“ Als „Psycho“ muss Thorsten Mebus die Crews der Sea-Watch 2 auf diese Momente vorbereiten.

Stundenlang sitzt er mit den zwölfköpfigen, aus vielen Ländern und Altersgruppen zusammengewürfelten Freiwilligen-Teams im Haus der Organisation auf Malta und redet über das, was kommt. Und das, was geschah und den Helfern Alpträume bringt.

Tag und Nacht treiben die Crews zwei Wochen lang rund 20 Meilen vor der libyschen Küste und halten nach überfüllten Flüchtlingsbooten Ausschau. Die tauchen meistens am frühen Morgen auf. Jeder Flüchtling musste mindestens 500 Euro für seinen Platz bezahlen. Der Außenbordmotor bringt das vollgestopfte Boot maximal 70 Kilometer von der Küste weg. Thorsten Mebus: „Die Menschen wissen, dass sie dann auf dem Meer treiben. Und dass sie leicht dabei sterben können. Dass ihr Überleben vom Zufall abhängt.“ Das lasse ahnen, wie schlimm es für diese Flüchtlinge in der Heimat sein müsse.

Wenn die Leute von Sea-Watch ein Boot entdecken, setzen sie zwei Beiboote aus. Die bringen zwei mit Schwimmwesten gefüllte Schlauchboote zu den Flüchtlingen. Außerdem Trinkwasser. An Bord des Mutterschiffs dürfen eigentlich keine Flüchtlinge, denn die Sea-Watch 2 ist zu klein. Trotzdem passiere das immer wieder, so Mebus, weil Flüchtlingsboote kentern.

Helfer beschimpft

Per Funk bitten die Retter dann die in Rom sitzende Seenot-Leitstelle, größere Schiffe zur Aufnahme der Flüchtlinge zu schicken. Eine halbe Million Menschen wurde so schon geborgen. Sie sitzen laut Mebus in Sizilien fest. Viele leben dort in alten Flugzeughangars.

Auf den SOS-Notruf muss nach Seerecht jeder Kapitän reagieren. Doch die großen Kreuzfahrtschiffe meiden laut Thorsten Mebus die Region zwischen Lampedusa, Malta und Libyen. „Damit sie niemanden aufnehmen müssen. „Das finde ich schon irre. 200 Kilometer weiter sterben Menschen, und diese Schiffe fahren einfach weiter.“

In Deutschland, aber auch in Italien werden die Seenotretter laut Mebus immer wieder öffentlich „übelst beschimpft“. Der Vorwurf: Sie hülfen den Schleppern bei ihrem mörderischen Geschäft. Weil sie den Flüchtlingen eine Überlebenschance gäben, wagten die sich immer noch auf die seeuntüchtigen Kähne. Thorsten Mebus sagt dazu: Man könne die Menschen doch nicht einfach ertrinken lassen. Und sie nach Libyen zurückzubringen, sei, als ob man jemanden zurück in die Hölle schickt. Viele der geretteten Flüchtlinge seien von Peitschenhieben, Messerstichen und anderen körperlichen und seelischen Verletzungen gezeichnet. Denn wer nicht genug Geld hat, müsse Zwangsarbeit leisten oder sich prostituieren.

Neuerdings arbeitet der europäische Grenzschutz Frontex offenbar stärker mit der libyschen Küstenwache zusammen. Am 10. Mai hat ein libysches Patrouillenschiff die Sea-Watch 2 beinahe gerammt, berichtet der Kapitän. Das Holzboot mit den Flüchtlingen nahmen die Libyer ins Schlepptau und zogen es nach Afrika zurück. All dies sei in internationalen Gewässern passiert und somit illegal, heißt es auf der Homepage www.sea-watch.org.

Der Bad Vilbeler Gemeindereferent Mebus will bald wieder zwei Urlaubswochen opfern, um die freiwilligen Seenotretter von Malta aus zu betreuen. Das sei einfach notwendig – auch wenn er selbst nach seiner Rückkehr noch tagelang „aus der Spur“ laufe. Nach der jüngsten Heimkehr ging Mebus im blauen Sea-Watch-Hemd die Frankfurter Straße entlang. Da kam ihm einer der hier lebenden Flüchtlinge entgegen. Und fing an zu weinen. Er deutetete auf das Sea-Watch-Symbol und sagte: „Diese Leute haben mir das Leben gerettet.“

Hilfe auf Privatinitiative


Mehr als 3400 Menschen ertranken 2016 im Mittelmeer beim Versuch, nach Europa zu kommen. Seit Jahresbeginn sollen mehr als 1100 Menschen auf See umgekommen sein. Die europäische Grenzschutz-Agentur Frontex kümmert sich nur um jene Flüchtlinge, die es bis in italienische Hoheitsgewässer schaffen. Um die Seenotrettung kümmern sich mehrere private Initiativen, darunter „Ärzte ohne Grenzen“ und der in Hamburg sitzende Verein Sea-Watch. (nes)