Wer war dieser Bad Vilbeler, der sein Herz nicht in Heidelberg, sondern an Berlin verloren hatte und mit Frau Annelies und zwei Kindern, Michael und Marie-Luise, auf dem Heilsberg, Wetterauer Weg 4, seinen Platz auf dieser Welt gefunden hatte und jetzt, am 13. September, 100 Jahre alt geworden wäre und dem der damalige Bürgermeister Günther Biwer am 3. Juli 1990 die Urkunde „Ehrenstadtrat von Bad Vilbel“ in Würdigung seiner „langjährigen Verdienste“ um die Quellenstadt überreichte? Dazu Ehrenbürgermeister Günther Biwer: „Er war ein ganz lieber Mensch, ein kleiner, feiner Mann, einer der wenigen Kleinen, bei denen man die Größe nicht vermisst!“ Ähnlich erinnert sich auch Kulturamtsleiter Claus-Günther Kunzmann: „Er war ein vornehmer Herr, den ich als aufrichtigen, geradlinigen Menschen kennen lernte, einer der sich um den Heimatgedanken verdient gemacht hat“.
Dank seines Sohnes Michael lässt sich die Biographie Ernst Theodor Damms schnell nachzeichnen. Er wurde 1910 in Frankfurt am Main geboren und wuchs in der Brönnerstraße, in der Nähe der St. Peterskirche auf, in deren Gemeinde seine Eltern sozial aktiv und engagiert waren. Kindheit und Jugend waren geprägt durch den 1. Weltkrieg, die Notzeit der Weltwirtschaftskrise und Inflation mit Hunger, Geldmangel und Arbeitslosigkeit. Sein Vater starb, als er 16 Jahre alt war. Schulzeit und kaufmännische Berufsschule bis 1928 erlebte er in Frankfurt. Beeindruckt von der Geselligkeit und der Aufbruchstimmung der Wandervogelbewegung und dem Traum vom Reisen in die Kolonien, lenkten ihn die Werke von Hölderlin, Morgenstern und Nietzsche ab von der Notlage seiner Zeit. Ohne Beschäftigung meldete er sich 1933 für den Arbeitsdienst und wurde von April 1933 bis August 1934 für Drainage-Arbeiten im Vorschwarzwald und in Großjahnberge bei Nauen/Brandenburg eingeteilt. 1934 wurde er Angestellter der DAF (Deutsche Arbeitsfront/Arbeitsdank) in Berlin, wo er bis 1937 als Bezirksobmann, danach bis 1940 als Angestellter des Reichskolonialbundes tätig war.
Ernst Damm wurde 1939 in Berlin-Schöneberg gemustert und 1940 zum Fronteinsatz in der Normandie bei St. Omer in einer schweren motorisierten Flakbatterie abkommandiert.
Seinen zweiten Fronteinsatz erlebte E. Damm 1941-42 in Russland (Flakeinheit II/8/26, Oldenburg). 1942 verwundet, wurde er in das Luftwaffen-Lazarett Posen verlegt. Dort lernte er seine spätere Frau Annelies Rempel kennen, die er 1944 am 24. Juni heiratete.
Ihre erste Wohnung, die sie am 6. Januar 1945 in der Posener Fichtestraße 5 besichtigten und bereits einzurichten begannen, haben sie nicht mehr bezogen: Am 21. Januar 1945 flüchtet Annelies mit Mutter Lony mit dem letzen Zug aus Posen, ihr Vater Adolf Rempel versucht es später mit dem Firmenwagen und einigen Habseligkeiten – Richtung Westen. In Göttingen findet dieser Teil der Familie Wochen später wieder zusammen, zieht nach Weilburg an der Lahn.
Ernst Damm bleibt an der Front zurück: Am 21. Januar 45 wird der Befehl des Stellungswechsels von der Bukerkaserne ins benachbarte Kernwerk befolgt. Das seit 1939 von den Deutschen als Kriegsgefangenenlager genutzte Fort wurde am 23. Februar 1945 von der Roten Arme eingenommen: Kapitulation durch Major Kurth, Beginn der Kriegsgefangenschaft.
Ernst Damm tritt am 11. März 1945 dem NKFD (Nationalkomitee Freies Deutschland) bei. Am 4. April 1945 werden 5000 Kriegsgefangene Richtung Karelien abtransportiert, unter ihnen Ernst Damm mit weiteren 85 Soldaten in Güterwaggons 45, „deren Überreste“ (zirka 3500 Mann) am 13. April 1945 im berüchtigten Kriegsgefangenenlager 120 ankommen: Petrosawodsk am Onega-See, dem Ort, an dem nach der Oktoberrevolution 1917 im Januar 1918 die Sowjetmacht errichtet wurde, berichtet sein Sohn Michael Damm, der die Biografie seines Vaters minuziös aufgezeichnet hat.
Die Strapazen des Lagerlebens, das hauptsächlich aus Waldarbeiten besteht, überlebt Damm, bis er entkräftet und wegen einer Verletzung am 27. Oktober 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wird. Am 13. Dezember 1945 steht in seinem Tagebuch: „Annelies kommt an“ – wieder vereint. 17. Dezember 1945: Ankunft in Frankfurt/Main, Körpergewicht: 46 kg.
Er arbeitet zunächst als Bau- und Montagehilfsarbeiter und Bürohilfskraft an mehreren Stellen in Frankfurt/Main, und als er 1946 durch einen Zeitungsartikel auf ein Pilotprojekt des Evangelischen Hilfswerks für Vertriebene und Flüchtlinge aufmerksam wird, das auf der Vilbeler Höhe den Bau einer Wohnsiedlung beabsichtigt, meldet er sich für den freiwilligen Arbeitseinsatz auf der riesigen Baustelle auf dem ausgedienten Truppenübungsplatz der Wehrmacht; durch Ableistung von 2000 Arbeitsstunden erwirbt er die Berechtigung, dort mit seiner Frau Annelies und den beiden Kindern Marlies und Michael sein eigenes Heim in einem der Reihenhäuser zu beziehen, das vom Gründer der Siedlung Heilsberg, Adolf Freudenberg, im Jahr 1951 eingeweiht wird.
Ernst Theodor Damm, zuerst Mitglied der BHE, des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten, tritt später der CDU bei. Er wirkt mit bei der Errichtung der sozialen und kulturellen Infrastruktur der Siedlung, ist neben seiner Berufstätigkeit als Versicherungsvertreter von Beginn an aktives und ehrenamtliches Mitglied in vielen Vilbeler Vereinen.
Ernst Theodor Damm führte bis 1988 im In- und Ausland 660 Veranstaltungen durch, in denen er für Berlin wirbt. Am 9. Mai 1961 erhielt Ernst Damm vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, das folgende Schreiben:
„Sehr geehrter Herr Damm! Sie haben sich in den Jahren seit 1954 damit besondere Verdienste erworben, dass Sie in Westdeutschland unermüdlich öffentlich auf unsere Stadt hingewiesen haben. Mit diesem auf Idealismus gegründeten persönlichen Einsatz haben Sie sich um Berlin verdient gemacht. Deshalb danke ich Ihnen im Namen unserer Stadt für Ihre Tätigkeit und bitte Sie, ein kleines Zeichen unserer Dankbarkeit entgegenzunehmen. Mit freundlicher Empfehlung, Willy Brandt“
Am Fall der Mauer, der Öffnung der Grenzen zwischen Ost-und Westberlin und der beiden Teile Deutschlands durfte Ernst Theodor Damm mit seiner Frau Annelies begeistert aus der Ferne auf dem Heilsberg teilnehmen. Er verstarb im Sommer 1990. (sam)