Bad Vilbel. Märchenerzähler wollen sie keinesfalls sein, die derzeit neun Lesepaten, die sich an der Kennedy-Schule um jeweils einen Schüler kümmern. Und bloß vorlesen, das sei nicht mehr genug, weiß Sylvia Jaksch, deren Bücherei Ausgangspunkt und Treffpunkt der Aktivitäten ist. Die Schüler sollen zum Vorlesen angeregt werden, Hilfe erhalten bei Verständnisfragen und Motivation, hinter den vielen Buchstaben eine kreative, phantasievolle Welt zu entdecken, erläutert die Büchereileiterin.
Angefangen hat alles vor drei Jahren, als die Schulsozialarbeiterin Joyce Löhl den Kontakt zu Marianne Sahner-Völke vom Bad Vilbeler Seniorenbüro herstellte. Mit sieben Lesepaten ging es los.
Beileibe nicht alle Lesepaten sind Senioren, manche, wie Gabi Zieres, haben als Mütter ehemaliger Schüler zu dem Projekt gefunden. „Bei uns liegt der Schwerpunkt auf Beziehungen, nicht auf dem Defizitausgleich“, betont Sahner-Völke. Das Zauberwort für eine gute Patenschaft sei: „Wir schenken euch Zeit!“ Diese Aufmerksamkeit und Anerkennung hat bei den benachteiligten Schülern das Eis gebrochen. Dass es kein Ersatzunterricht ist, sondern die Chance, etwas Neues zu entdecken, überzeugte sie. Doch mitmachen darf nicht, wer Lust hat. Es gibt ein strenges Auswahlverfahren. Drei bis vier Schüler pro Klasse der Förderstufe werden von ihren Klassenlehrern ausgewählt, erläutert JFK-Förderstufenleiterin Nicole Weber. Das seien Schüler, die mit ihren Leistungen im Unterricht nicht mithalten könnten und drohten, abgehängt zu werden und sich zurückzuziehen.
Ziel der Lesepaten sei es, sie zu motivieren – aber nicht wie ein Sozialarbeiter, sondern einfach durch Lob und Zuspruch. „Dann blühen die in kurzer Zeit auf“, hat Weber in ihrer eigenen Klasse feststellen können. Gerade bei jenen Schülern, bei denen zu Hause ein Ansprechpartner oder die Gelegenheit zum Lesen fehlt.
Die Schüler treffen sich zu Beginn eines Schuljahres in der Bücherei mit ihren Paten, suchen sich selbst einen aus. Dann geht es an die Regale, wo altersgerechte Bücher stehen. Romane, Sachbücher, Krimis – was gelesen wird, suchen sich die Schüler selbst aus. Gelesen wird übrigens im Unterricht, für die Lesepaten bekommen die Schüler jeweils eine Stunde pro Woche frei. Ihr Patenschüler, den sie als Fünftklässler vor einem Jahr übernommen habe, habe sich für Kochrezepte interessiert, berichtet Gabi Zieres. Aber nicht, weil sie so schön kurz sind, sondern, weil er später Koch werden wolle.
Sein Patenschüler habe sich beim Vorlesen immer wieder Begriffe erklären lassen, erzählt Hans Pröls. Ihre Lesepatin sei ein türkisches Mädchen, sagt Ursula Boldt. Sie möchte am liebsten Tierfabeln lesen. Sie decke dann die Texte zu, zeige der Schülerin die Bilder und lasse sie dazu eine Geschichte erfinden, berichtet Boldt. „Lustbetont – aber mit Ziel“, das sei die Intention der Patenschaft, betont Weber.
Es gehe darum, Fähigkeiten zu fördern. Wenn darüber hinaus auch persönliche Beziehungen entstünden, sei das „auch ein Geschenk“. Tatsächlich haben sich zwischen den Paten und den Schülern mitunter auch beinahe familiäre Bindungen ergeben, wo es nicht nur ums Lesen geht, sondern auch darum, sich auf einen guten Praktikumsplatz zu bewerben, weiß Jaksch.