Was können wir heute aus dem Ausbruch von Gewalt und Intoleranz des Pogroms von 1938 lernen? Dazu veranstaltete die evangelische Christuskirchengemeinde in Bad Vilbel eine interreligiöse Gesprächsrunde.
Bad Vilbel. Mit der Veranstaltung wolle man an die Pogrome gegen Juden erinnern und zugleich das Miteinanderleben im Jahr 2013 thematisieren, sagt Moderator und F.A.Z.-Redakteur Jens Joachim. Dabei stehe die Frage im Mittelpunkt, „was wir aus damaligen Ereignissen massiver Intoleranz und Gewalt lernen können“.
Pfarrer Klaus Neumeier von der Christuskirchengemeinde, Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU), Rafael Zur von der jüdischen Gemeinde Bad Vilbel, Selçuk Dogruer von der islamischen Ditib-Gemeinde sowie Claudia Kamm, Schulleiterin des Georg-Büchner-Gymnasiums, beteiligen sich an der Gesprächsrunde mit rund 40 Besuchern im Saal der Christuskirche. Zunächst folgen alle Anwesenden der Aufforderung, eine Gedenkminute einzulegen. „Wir gedenken an die jüdischen Bad Vilbeler Bürger Simon Wechsler und Albert Chambré stellvertretend für jene 72 jüdischen Bürger, die aus Bad Vilbel deportiert, verschleppt oder zum Wegzug gezwungen worden“.
Kein Raum für Juden
Rafael Zur – „Gesicht und Wiederbegründer der jüdischen Gemeinde in Bad Vilbel“, so Joachim – gibt Einblicke in das Schicksal seiner Familie und in die jüdische Geschichte. Er bedauere, dass die jüdische Gemeinde in Bad Vilbel bis heute keinen Ort habe, an dem sie sich treffen könne. Der Bedarf bestehe, etwa auch für Treffen mit Schülern, so Zur.
Der jüdischen Gemeinde stehe es wie jedem anderen Verein offen, öffentlichen Raum kostenlos zu nutzen, erwidert Stöhr. Zudem prüfe der Magistrat derzeit, ob und wie man jüdisches Leben „im musealen Raum in Bad Vilbel“ sichtbar machen könne, so Stöhr. Er kündigt an, dass im nächsten Jahr die Ausstellung „Legalisierter Raub“ gezeigt werde.
Schulleiterin Kamm stellt ein Interesse bei Schülern an der deutschen Geschichte vor und während des Nationalsozialismus fest, „manchmal noch, bevor es auf dem Lehrplan steht“. Sie bedauere, dass es bald keine Zeitzeugen mehr geben werde, denn ihnen zuzuhören, sei beeindruckend für junge Menschen.
Als Ditib-Landesbeauftragter für interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit sei er viel unterwegs, sagt Selçuk Dogruer. In einem Europa, in dem sich die Kulturen viel mehr begegneten als früher, erlebe er mehr Offenheit vor allem bei jungen Leuten. Dogruer bedauerte allerdings, dass die integrative Arbeit, die von muslimischen Gruppen geleistet werde, in den Medien nicht auf die gleiche Resonanz stoße wie das Agieren von fundamentalistischen Gruppierungen. Pfarrer Klaus Neumeier sagte, Fremde könne man als Gefahr wahrnehmen, aber auch als Chance und Herausforderung. Leider würden auch heutzutage „platte Sprüche“ gedankenlos nachgeplappert bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Fundamentalisten hätten ein leichtes Spiel vor allem bei unsicheren und schwachen Menschen. „Wer selbst stark und selbstsicher ist, hat es nicht nötig, sich gegen andere abzugrenzen und kann leichter Toleranz üben“, so Neumeier.
Mehr als Toleranz
Dogruer appelliert, über die Toleranz hinauszugehen und „nicht übereinander, sondern miteinander zu sprechen“.
In der abschließenden Fragerunde mit den Zuhörern appelliert eine Frau daran, „die individuelle Urteilsfähigkeit bei Schülern zu fördern, damit diese Zivilcourage zeigen können“. Er lade dazu ein, den vorhandenen Dialog der Religionen in Bad Vilbel gemeinsam voranzutreiben, appelliert Bürgermeister Stöhr abschließend.