Veröffentlicht am

Chapeau, Silvia Kinzel!

Eine starke Frau: Silvia Kinzel (links) im Gespräch mit Eva Raboldt. Foto: Deul
Eine starke Frau: Silvia Kinzel (links) im Gespräch mit Eva Raboldt. Foto: Deul

Schon mit zwölf hat Silvia Kinzel den Alkohol entdeckt, doch seit 30 Jahren ist die heute 64-Jährige trocken. In der Gesprächsreihe „Starke Frauen“ der Bürgeraktive berichtete sie offen über ihre Erfahrungen als Guttemplerin. Und sie meinte bescheiden, das habe nichts mit Stärke zu tun, „es geht um mich und meine Familie“.

Bad Vilbel. Wieder ermöglichte Gastgeberin Eva Raboldt von der Bürgeraktive Einblicke in spannende Lebenswelten. „Der Alkohol löst viele Sachen, Flecken auf der Kleidung, aber keine Probleme“, sagt Kinzel. Doch bis dahin war es für sie ein langer Weg. Schon mit zwölf hatte sie Kontakt mit Alkohol. In den 50er-Jahren sei der sorglose Umgang damit nicht ungewöhnlich gewesen. Rasch entstanden Suchtmuster. Einmal aussetzen half nichts mehr: „Du machst mit den Promille weiter, bei denen du aufgehört hast.“ Vor Rückfällen sei niemand gefeit.

Schonungslos berichtet Kinzel über die Tiefen ihrer Alkoholkarriere. Drei Mal war der Führerschein weg: mit 1,3, 1,8 und schließlich 2,4 Promille. Beim vierten Anlauf zum „Idiotentest“ habe man ihr zunächst gesagt, sie habe sich nicht geändert, es gebe keine Fahrerlaubnis mehr. Doch dann habe sie zur Notlüge gegriffen, sie sei schwanger. Das kam tatsächlich, aber erst später. Auch in der Zeit habe sie weiter getrunken, „aber nur Bier und Sekt – und beim Kaiserschnitt habe ich gezittert“, erinnert sie sich.

Die Wende kam 1984, als ihr ebenfalls alkoholkranker Mann zur Therapie musste und sie ihn zu einem Wochenendseminar begleitete. Erst da sei ihr aufgegangen, welche gravierenden Folgen der Alkohol habe. „Am 28. August 1984 habe ich mein letztes Alt getrunken“, erinnert sie sich.

Ihr sei das Aufhören damals deswegen leicht gefallen, „weil ich 18 Kilo abgenommen habe“, erinnert sich Kinzel. Als „starke Frau“ sehe sie sich aber nicht, meint Kinzel bescheiden: „Ich bin eine ganz normale Ehefrau, Hausfrau, Mutter und Verkäuferin.“ „Doch, Sie sind es“, meint eine Zuhörerin

Familie einbeziehen

Doch leicht war der Weg dahin nicht. Nicht nur wegen der körperlichen Symptome, sondern auch, weil das Umfeld mitziehen muss. Eine alkoholfreie Geburtstagsparty? „Da musst du deinen Freundeskreis aussuchen.“

Zur Unterstützung beim Ausstieg gibt es die Guttempler-Gemeinschaft, die Kinzels Mann 1988 in Bad Vilbel gegründet hat. Im Gegensatz etwa zu den Anonymen Alkoholikern, die zwölf Schritte propagieren, gebe es bei den Guttemplern keine festen Vorgaben, bis auf eine: „Wichtig ist, dass die Familie einbezogen wird.“

Aufklären ist wichtig

Nicht nur der Lebenspartner und die Erwachsenen, die als „Ko-Alkoholiker“ die Verhaltensmuster des Süchtigen mit unterstützen, sondern auch Kinder. Sie kämen mit, spielten in der Ecke, spürten, dass nicht alles in Ordnung sei. Kinzel sagt aber auch, dass ihr eigener Sohn nicht abstinent lebe, gerne auch trinke. Nun aber nicht mehr, da er Vater geworden sei. Was sie sich wünsche, sei mehr Aufklärung, vor allem von Jugendlichen, wie ihr Mann das früher in der John-F.-Kennedy-Schule gemacht habe. Dort fange es an, Unsicherheit, Gruppendruck seien die Motive. Wenn sie im nächsten Jahr in Rente gehe, wolle sie Präventionsarbeit bei Jugendlichen betreiben, „denn die müssen ja später meine Rente zahlen – und ich will mindestens 90 werden“, meint Kinzel.