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Der Weltmeister übt

Dortelweiler Zehnkämpfer Thomas Stewens ist in guter Form für die WM in Australien

Thomas Stewens beim Kugelstoß-Training auf dem Bad Vilbeler Nidda-Sportfeld. Bei seinem weitesten Stoß landete die Kugel bei 13.89 Meter im Sand. Foto: Dieter Deul
Thomas Stewens beim Kugelstoß-Training auf dem Bad Vilbeler Nidda-Sportfeld. Bei seinem weitesten Stoß landete die Kugel bei 13.89 Meter im Sand. Foto: Dieter Deul

Dass er einmal Zehnkämpfer werden möchte, war Thomas Stewens schon als Teenager klar. Doch dann kam viel dazwischen: Eine Bankkarriere, fünf Kinder, eine schwere Verletzung. Nach der Physiotherapie startete er neu durch, sammelte drei Europameister- und drei Weltmeistertitel. Und bald fliegt er zur Senioren-Weltmeisterschaft ins australische Perth (26. Oktober).

Bad Vilbel. Fürs richtige Leichtathletik-Training ist es mit 13 Grad auf dem Bad Vilbeler Sportgelände schon recht frisch, aber für den Fototermin reicht es. Beinahe andächtig legt der gerade 50 Jahre gewordene Thomas Stewens die Fünf-Kilo-Kugel an seine Schläfe, das eine Bein leicht angewinkelt, das andere in der Luft. Aus dieser Position heraus beginnt das Kugelstoßen.

Sein Bestwert in dieser Disziplin: 13,89 Meter. Nebenan legt gerade eine Schulklasse mit dem Sportunterricht los. Anerkennend blickt er auf die Gruppe, freut sich, dass die Kinder so aktiv sind.

Rekorde gesetzt

So wie er selbst, als er mit 14 in Poing bei München mit dem Vereinssport begann – als Sohn der CSU-Politikerin Christa Stewens. Sie war 2007 bis 2008 stellvertretende bayerische Ministerpräsidentin. „Der Zehnkampf war schon damals mein Ziel“, erinnert er sich. Weil aber die Voraussetzungen fehlten, half er, eine Startgemeinschaft zu organisieren, die die fehlende Hochsprunganlage stemmte.

Mit 16 ging es dann mit richtigen Wettkämpfen los. Stewens bekam ein Sportstipendium, studierte nach dem Wehrdienst BWL in Tucson/USA. Damals war er Athletensprecher der deutschen Zehnkämpfer, nahm an den amerikanischen Studentenmeisterschaften teil. „Ich wollte aber keine reine Sportkarriere machen“, erinnert er sich. „Für mich muss Sport ohne Zwänge sein, etwas bestimmtes schaffen zu müssen.“ Die Versuchung, das unehrenhaft, sprich durch Doping, zu tun, die sei ihm zu hoch: „Die Leute, die gedopt haben, tun mir leid“, sagt er.

Ohnehin gab es einen abrupten Bruch. 1996 startete Stewens seine Banker-Karriere in München, 1998 zog er nach Dortelweil, arbeitet heute in einer Frankfurter Privatbank. Das und die wachsende Familie mit fünf Kindern von zehn bis 22 Jahren forderten seine ganze Aufmerksamkeit. Als seine Tochter Lena 1994 geboren wurde, habe sie später abends gebeten: „Papa, geh’ nicht wieder weg ins Training“, erinnert er sich: „Da habe ich den Sport komplett runtergefahren.“ Aber zu schaffen war das Familienleben nur mit tatkräftiger Unterstützung seiner amerikanischen Frau Beth-Anne. „Sie ist auch sehr leistungsstark“, lobt er.

Die Rückkehr zum Wettkampfsport fing 2004 schmerzhaft an. Stewens hatte für den TV Bad Vilbel Schüler trainiert und danach noch ein bisschen Stabhochsprung machen wollen. „Aber ich war nicht in der Trainingsverfassung.“ Das Resultat: Der Hauptmuskel des rechten Sprungbeins war gerissen. Sein Arzt riet Stewens zur OP. Der bestehende Muskel solle halbiert und an den beiden Beinseiten neu angesetzt werden. Außerdem, so die Hiobsbotschaft, seien mit dem Bein alle Arten von intensivem Sport unmöglich. Stewens war geschockt, aber er ergriff die Flucht nach vorne. Keine Operation, nur vier Monate harte Physiotherapie. Drei Mal wöchentlich drei bis vier Stunden – natürlich erst nach der Arbeit, „ich bin ja selbstständig“.

Als Motivation hatte er sich damals vorgenommen, direkt nach der Physio in Stuttgart an der Hallen-WM im Fünfkampf teilzunehmen – „meine erste Senioren-WM mit 38 Jahren“, erinnert er sich. Dort gewann er dann den M35-Hallen-Fünfkampf (über 35 Jahre) mit einem Weltrekord.

Nicht nur Bestzeiten

Seither hat Stewens drei Europameister- und drei WM-Titel angehäuft. Zwei bestehen noch, im M45- und M50-Fünfkampf. Zudem hat er selbst neue Wettkämpfe aufgebaut: in Ratingen und den Seniorenwettkampf in Stendal. Gerne würde er auch wieder mit Kindern arbeiten, ihnen so viel Spaß mit Wettkämpfen bereiten, dass sie auch bei Schulstress und erster Liebe bei der Stange bleiben.

Die Leidenschaft motiviert ihn aktuell auch für sein nächstes Ziel, den Titel bei der Senioren-Leichtathletik-WM, wo er am 26. Oktober im australischen Perth mit seinem Sportsfreund Stefan Kallenberg startet. Qualifizieren muss er sich dafür nicht, „das ist eine rein kommerzielle Veranstaltung mit 20 000 Leuten. Ob alle fit sind, überprüfe erst im Wettbewerb ein Ethikrichter. Doch für Stewens geht es nicht nur um Bestzeiten.

Durch die Wettkämpfe habe er viele Freunde über Generationen und Kontinente hinweg gefunden. In Perth werde er viele davon wiedersehen. „Das ist der Kick“, sagt er, das Wiedersehen mit den anderen Zehnkämpfern – und danach noch eine Reise durch den Fünften Kontinent. Aber Stewens’ Plan geht weiter. Er möchte „den Dreiklang“, die drei Titel im Fünfkampf draußen, jetzt den Zehnkampf draußen in Perth und im Frühjahr noch die dritte Disziplin, den Hallen-Fünfkampf. Dann könne er das Training wieder runterfahren von acht bis neun auf drei Mal die Woche. Aber Schluss ist noch lange nicht. „Es gibt Leute, die machen das noch mit 80 Jahren.“

Beeindruckende Zahlen


Thomas Stewens Bestleistungen der Zehnkampf-Disziplinen: 100 Meter-Lauf in 11,27 Sekunden, Weitsprung: 7,10 Meter, Kugelstoßen: 13,89 Meter, Hochsprung: 2,00 Meter, 110 Meter-Hürden: 14,76 Sekunden, Diskus: 42,40 Meter, Stabhochsprung: 4,80 Meter, Speer werfen: 58,40 Meter und der 1500-Meter-Lauf mit 4:06,65 Minuten in der Top-Zehn-Allzeitbestenliste des Zehnkampfs. Im Ein-Stunden-Zehnkampf steht Thomas Stewens mit 7171 Punkten auf Platz 23 der ewigen Weltrangliste. (dd)