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Die Innenstädte retten

Der Vorsitzende des Bad Vilbeler Seniorenbeirats, Klaus Arabin (stehend), zieht am Ende der Podiumsdiskussion zwischen Vertretern des Gewerbes und der Politik ein Fazit. Foto: Jürgen W. Niehoff
Der Vorsitzende des Bad Vilbeler Seniorenbeirats, Klaus Arabin (stehend), zieht am Ende der Podiumsdiskussion zwischen Vertretern des Gewerbes und der Politik ein Fazit. Foto: Jürgen W. Niehoff

Bad Vilbel. Seit dem Aufstieg des Online-Shoppings haben es viele Einzelhändler in den Innenstädten schwer. Auf einer Podiumsdiskussion haben Vertreter der Industrie und der Politik besprochen, was getan werden könnte, um die Attraktivität der Innenstadt zu erhöhen. Brauchen oder wollen wir noch wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten? Ist die Entwicklung weg vom Einzelhandel hin zum Versandhandel noch umkehrbar?
Den Fragen der rund 40 Gäste im Besucherzentrum des Radiosenders FFH hatten sich aus dem Kreis des Einzelhandels Thomas Stäb, Geschäftsleiter für »tegut… teo und Lädchen«, Lars Koch, IHK Gießen-Friedberg, der Inhaber eines Edeka-Marktes in Friedberg, Steffen Kreiling, 2. Vorsitzender des Gewerberings Bad Vilbel, und Kurt Liebermeister, der ehrenamtlicher Leiter des Stadtmarketings Bad Vilbel. Die Politik war vertreten durch die Landtagsabgeordneten Tobias Utter (CDU) und Jörg-Uwe Hahn (FDP). Ebenfalls waren Clemens Breest (Stadtrat, Die Grünen) und Rouven Kötter (SPD), Erster Beigeordneter des Regionalverbandes FrankfurtRheinMain, anwesend.
Verschiedene Ansätze zur Lösung
Zunächst stellte jeder der acht Podiumsteilnehmer seine eigene Sicht auf das Problem dar. So gebe es nach Ansicht von IHK-Vertreter Koch kein allgemeines Rezept, um den Einzelhandel in den Städten wieder in die Spur zu bringen. »Jede Stadt ist unterschiedlich und hat ihre eigene Herangehensweise an das Problem des schwindenden Einzelhandels.«
Utter machte sofort klar, dass die Politik nicht das ideale Patentrezept, sondern lediglich einen Rahmen dazu schaffen könne, in dem der Einzelhandel dann aber die Zügel selber wieder in die Hand nehmen müsse. Als Beispiel nannte Utter die Schaffung von verkaufsoffenen Sonntagen ein- oder zweimal im Jahr, um die Innenstädte wieder attraktiver und lebendiger werden zu lassen. Ansonsten aber sei die Politik hier machtlos.
Kreiling forderte für den Gewerbering eine professionelle städtische Marketingabteilung, die sich auf die Wiederbelebung der Innenstadt konzentrieren müsse. Auch Hahn, obwohl er selbst Magistratsmitglied ist, übte Kritik an der derzeitigen Situation: »Die Stadt orientiert sich einfach zu sehr an Finanzfragen, anstatt nach pragmatischen Lösungen zu suchen.« Als schlimmes Beispiel nannte er den Streit um die Außensitzmöglichkeiten auf dem Niddaplatz, bei dem die Politik längst hätte eingreifen müssen. Schließlich gehe es um die Attraktivität der Innenstadt, die über Wohl und Wehe des Einzelhandels mitentscheidet. Liebermeister nahm die Stadtverwaltung hingegen in Schutz: »Wir arbeiten bereits an einem Konzept zur Professionalisierung der Marketingabteilung. Aber da sind noch viele Fragen zu klären.« Seiner Meinung nach sei die Politik sehr wohl ein wesentlicher Partner bei der Wiederbelebung der Innenstädte, denn sie kann mit ihren Vorschriften und Regeln das Leben des Einzelhandels oftmals sehr schwer machen.
Dem stimmte auch Kötter vom Regionalverband zu. »Die Innenstädte müssen auf jeden Fall wiederbelebt werden, denn schließlich hat der Einzelhandel den großen Vorteil, dass ich als Kunde persönlich beraten werde und die Ware direkt vor Ort anfassen kann.« Er wünschte sich aber auch, dass der Einzelhandel dem Kunden mehr entgegenkommen sollte, beispielsweise mit dem Versand als zusätzliche Serviceleistung.
Stäb verwahrte sich hingegen der Auffassung, dass es unterschiedliche Einkaufsmuster für Jung und Alt gebe. Entscheidend für ihn sei vielmehr der kurze Fußweg zum Geschäft. »Die Politik muss für Parkplätze in der Innenstadt sorgen, dann lebt auch der Einzelhandel wieder auf.« Für Breest ist die Verbesserung des ÖPNV ein wesentlicher Faktor zur Wiederbelebung der Innenstädte. Außerdem sollten die Verkehrsflächen gerechter aufgeteilt werden. Dazu gehöre auch, dass nicht jedes Privatauto in der Innenstadt einen Parkplatz finden müsse. Breest verlangte vor allem nach Alleinstellungsmerkmalen der einzelnen Städte.
Publikum nimmt
an Diskussion teil

In einem Punkt waren sich dann aber alle einig: »Der Einkauf muss wieder zu einem Erlebnis werden. Zum Raum für Begegnungen für alle. Dafür bedürfe es keines Stadtmarketingkonzeptes, das nur den Status quo festigt, sondern eines Gesprächs mit allen Betroffenen. Alle Seiten müssten sich verändern und den neuen Gegebenheiten anpassen. Auch aus dem Publikum kam der Wunsch nach mehr Attraktivität der Innenstadt. Vor allem aber müsse die Erreichbarkeit verbessert werden.
»Es gibt offenbar kein Patentrezept, doch herrscht immerhin das Einvernehmen, dass keiner vor Veränderungen zurückschrecken muss und dass mit verstärkter Attraktivität und mehr Angeboten der Einzelhandel in den Innenstädten auch gegenüber dem Versandhandel sehr wohl eine gute Chance hat«, zog der Seniorenbeiratsvorsitzende Klaus Arabin am Ende der zweistündigen Diskussionsrunde ein Fazit.
Von Jürgen W. Niehoff