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Ehrfurcht

Ehrfurcht. Klingt altbacken. Irgendwie scheint sie tatsächlich aus der Mode gekommen zu sein.

Das Wort Ehrfurcht verbindet die Furcht mit der Ehre. Hier ist mit Furcht nicht die Angst gemeint, sondern ein Innehalten, eine Scheu – die Haltung, aufmerksam zu sein, ohne zudringlich zu werden.

Das Gefühl der Ehrfurcht entstammt dem religiösen Bereich. Es steht für die Empfindung, dass etwas heilig und ganz besonders ist. Für eine Haltung, in der Menschen das Geheimnis des Lebens wahrnehmen. Ehrfürchtige nehmen nicht in Besitz, was sie bewundern. Sie treten vielmehr einen Schritt zurück und wahren die Distanz. Sie geben Gott oder anderen Menschen die Ehre.

So wie die Hirten auf dem Feld, denen in der Weihnachtsnacht Engel erscheinen. Die Engel lassen die Hirten ehrfürchtig werden. Eine solche Engel-Erscheinung scheint uns für unser Leben unwahrscheinlich. Aber sie will uns dafür sensibilisieren wahrzunehmen, dass immer wieder etwas Jenseitiges in das Leben tritt, etwas uns Übersteigendes, vor dem wir nur staunend zurücktreten können. Oft übersehen oder übergehen wir das Wunder des Heiligen, weil wir es nur in großen Erscheinungen suchen.

Ehrfurcht ist eine Haltung, die wir nicht nur gegenüber Gott oder Engeln haben können, sondern auch gegenüber allem Lebendigen um uns und in uns.

Der Arzt und spätere Träger des Friedensnobelpreises, Albert Schweitzer, rief unermüdlich zur „Ehrfurcht vor dem Leben“ auf. Gegen alle mörderischen Waffen rief er dazu auf, das Leben auf dieser Erde zu bewahren und zu schützen. Begonnen hat er mit den Kindern in seinem Urwaldhospital Lambarene, dann aber gingen seine Gedanken weit darüber hinaus. Ehrfurcht vor dem Leben zu haben – dazu rief er im Privaten wie Politischen, im weltweiten und nahen Lebenszusammenhang auf.

Von Franz von Assisi, dem italienischen Ordensstifter, wird erzählt, er habe kleine Würmer vom Weg aufgelesen, damit sie nicht von den Füßen der Vorübergehenden zertreten würden. Den Bienen habe er Honig und guten Wein geben lassen, damit sie in der Kälte des Winters nicht umkämen. Dafür wurde er als einfältig belächelt. Aber wird man ihm damit gerecht?

Vielleicht sammeln wir keine Würmer von den Wegen, aber schauen in diesem September in Ehrfurcht auf die Natur in den Gärten, die Zwetschgen und Äpfel an den Bäumen, die für viele Tiere und auch für uns Menschen zur Nahrung werden. Sie sind ein Wunder der Schöpfung Gottes, auf das wir ehrfürchtig blicken können. Und wer weiß, vielleicht schmecken die Zwetschgen dann umso besser, weil wir sie mit Bedacht – eben ehrfürchtig – essen und sie nicht nur auffuttern, ohne sie wirklich wertzuschätzen.

Mit diesen Gedanken grüßt Sie

Pfarrerin Dr. Irene Dannemann,

Ev. Heilig-Geist-Gemeinde

Bad Vilbel – Heilsberg