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Hahn: EU ist zu groß! – Neuntklässler der ESRM diskutieren mit Politikern über Europas Zukunft

Ein Minister, ein Kolumnist und ein Bundesbank-Vorstand: Mit hochkarätigen Gästen diskutierten Neuntklässler der Europäischen Schule Rhein-Main (ESRM) in Bad Vilbel über die Zukunft Europas und des Euro.

Bad Vilbel. Von Schulatmosphäre keine Spur. Wie bei einem Kongress standen die ESRM-Schüler auf der Bühne ihrer Aula, erläuterten zu Text-Projektionen Kenndaten zur europäischen Sozialpolitik. Drei Wochen lang hatten die Neuntklässler Zeit, sich auf die Präsentation vorzubereiten – und das auch noch in der ersten Fremdsprache.

Zur Europawoche des Landes Hessen stellten sie ihre Anmerkung zu „sozialer Ausgrenzung in Europa“ vor, belegten mit Statistiken, dass 20 Prozent der Slowaken und jeder siebente Bulgare in Armut lebten, die zehn Prozent der reichsten Österreicher 22 Prozent des Vermögens besitzen und die Zahlen von Zypern im EU-Schnitt lägen. „Aber das war 2010 vor der Krise – diese Zahlen sind nicht mehr aktuell“, merkte der junge Referent selbstkritisch an.

Solidarität & Respekt

Europa und Krise? Für ihn gebe es andere Werte, sagte ESRM-Gründungsdirektor Tom Zijlstra, „das tägliche Leben in Europa“, das Miteinander seiner Schüler aus verschiedenen Ländern sowie Solidarität und Respekt. Werte, für die im Mai 1950 auch der französische Außenminister Robert Schumann gekämpft habe mit seiner Deklaration, an die die Europawoche erinnern soll.

Abseits der hehren Werte bedeute Europa in der praktischen Arbeit „ganz schön Stress“, merkte der hessische Justiz- und Europa-Minister Jörg-Uwe Hahn (FDP) an. Er reise nach Lettland, wo man die Krise des Jahres 2003 „unfallfrei und unaufgeregt“ überstanden habe. Diese Erfahrungen wolle er in vier Wochen nach Griechenland tragen, wo er bei der Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr helfe. Die EU, kritisierte er, sei zu groß geworden. 27 Richter am Europäischen Gerichtshof, die entscheiden sollen, „das kann nicht funktionieren!“ Statt einer Erweiterung müsse erst eine Konsolidierung stattfinden. Bei mehr Staaten brauche es eine grundlegende Reform der Entscheidungsstrukturen.

Ausgerechnet ein Mann der Zahlen, Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret, verteidigte Europa als Modell sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit, dafür müsse der Kontinent seine Finanzkrise überwinden. In Europa lebten nur sieben Prozent der Weltbevölkerung, diese erwirtschafteten aber 25 Prozent der globalen Wertschöpfung – und 50 Prozent der weltweiten Sozialkosten, verblüffte er die Zuhörer. Freiheit, der soziale Ausgleich, „das sind Prinzipien, die wir uns leisten können müssen, dafür müssen wir weltweit konkurrenzfähig bleiben“, betonte Dombret, selbst ein Schülervater an der ESRM. Die Euro-Krise sei in erster Linie eine Vertrauenskrise. Mehr Geld drucken nütze nichts, „weil die Güter dadurch nicht mehr werden“. Doch die ESRM-Schüler wollten von Dombret vor allem praktische Dinge wissen. Ob nach dem neuen Fünf-Euro-Schein auch andere Noten ersetzt würden. „Kann gut sein“, so Dombret. Schließlich sei der Fünfer der am meisten zirkulierende Geldschein, nach nur sechs bis zwölf Monaten werde er wegen Abnutzung schon aus dem Verkehr gezogen.

Freundeumzingelt

Welche Auswirkungen der Fall Hoeness habe, wollte eine Schülerin wissen. Man werde das von der SPD blockierte Steuerabkommen mit der Schweiz neu verhandeln müssen, kündigte Hahn an. Das hätte allein Hessen 170 Millionen Euro Einnahmen beschert. Aber auch die umstrittene Selbstanzeige mache Sinn. Dadurch seien 470 Millionen Euro Einnahmen erzielt worden. Als „beste Erfindung seit 1945“ bezeichnete der Ex-FAZ-Mitherausgeber und Bild-Kolumnist Hugo Müller-Vogg die EU, denn „wir sind von Freunden umzingelt“. Dennoch dürfe daraus kein Einheitsstaat werden. Statt Erweiterung sei Vertiefung nötig. Und schlagkräftigere Strukturen. Zwölf bis 14 statt 27 Rat-Mitglieder, keine Veto-Politik der Kleinstaaten, ein direkt gewählter Präsident waren einige seiner Forderungen. Die Deutschen sollten sich bewusst sein, dass es die Schröder-Regierung und die Franzosen gewesen seien, die als erste die Stabilitätskriterien des Euro verletzt hätten. „Wir müssen daher mit dem Zeigefinger vorsichtig sein“, mahnte er.