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»Hochwasser-Tourismus« – Gewässerökologe: Die Natur ist kein Rummelplatz

Bad Vilbel. Seit Anfang Februar haben es weite Teile der Wetterau mit Hochwasser zu tun. Doch machen nicht nur die enormen Wassermengen Probleme, sondern auch die Nebeneffekte menschlicher Natur. »Hochwasser-Tourismus« lautet eine Vokabel, die plötzlich ganz aktuell ist. Auch in Bad Vilbel.

»Ich hätte niemals daran gedacht, mal eine Frage zum Thema Wakeboarding zwischen Gronau und Rendel zu beantworten«, sagt Bad Vilbels Stadtsprecher Yannick Schwander auf Anfrage dieser Zeitung. Der Grund: Es kursiert ein Video im Internet, das in den vergangenen Tagen in Bad Vilbel herumging und einen Wakeboarder auf dem neuen Gronauer See zeigt. Aber nicht nur das: Gewässerökologe Gottfried Lehr konnte dieser Tage auch Kanufahrer auf dem vom Hochwasser überschwemmten Gebiet beobachten.
Schon seit rund einer Woche gibt es ähnliche Berichte aus Büdingen. Menschen wären fast eineinhalb Stunden gefahren, um sich dort die überschwemmte Altstadt anzuschauen. Mittlerweile spricht man von »Hochwasser-Tourismus«.

In Bad Vilbel sind nicht nur Wakeboarder und Kanufahrer auf dem neuen Gronauer See kuriose Auswüchse der Hochwasser-Situation. In einem weiteren Video, das in den sozialen Netzwerken kursiert, ist ein junger Mann zu sehen, der sich in der Innenstadt vom Geländer des Schützenhofsteges mit einem Rückwärts-Salto in die übervolle Nidda stürzt und von der Strömung schnell abgetrieben wird. Eine solche Situation kann schnell gefährlich werden.

Gefahr für Wildtiere
»Ich kann von unserer Seite aus sagen, dass wir durchaus einen solchen Hochwasser-Tourismus wahrnehmen. Dieser kommt in verschiedenen Arten daher«, erläutert Stadtsprecher Schwander. Viele Menschen würden die Absperrungen umgehen, um näher an das Wasser zu kommen. Das sei unerfreulich, da es viel Gefahr birgt. »Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die beispielsweise mit ihren Hunden die Wassermassen umgehen, daher weiter ins offene Feld laufen und dort zum Teil Wildtiere aufschrecken, die dann auf die bereits zugefrorenen Wasserflächen fliehen. Hier droht dann der Einbruch von Wildtieren, was im schlimmsten Fall zum Ertrinken führen kann«, weiß Schwander.

Auch dieses Bild hat sich in den vergangenen Tagen auf dem Überflutungsgebiet in Gronau gezeigt: Kanufahrer paddeln über das Wasser. Dabei stört das die Tiere im Natuschutzgebiet ganz massiv, sagt Gottfried Lehr. Foto: Privat

Am Dienstag der vorigen Woche hatte Markus Lorenz, stellvertretender Wehrführer in Gronau, einen Einsatz der Feuerwehr geschildert, wo genau das geschehen ist. »Drei Rehe waren in der Eisfläche eingebrochen und drohten zu ertrinken. Zwei Rehe konnten sich total entkräftet selbst retten, eines ist leider entkräftet im Eis ertrunken. Aufgescheucht durch Hundespaziergänger sind die Rehe leider auf die Eisfläche geflüchtet und eingebrochen«, schreibt er auf Facebook und appelliert: »Bitte geht nicht im Überflutungsgebieten spazieren, das Wild hat durch das Wasser seine Einstände verloren und benötigt Ruhe in der wenigen Deckung der Hecken und Grünstreifen.« Genauso können die neuen Eisflächen für Menschen gefährlich werden.

Was ein Verbot von Wakeboarding, Wasserski und Kanufahren zwischen Gronau und Rendel angeht, weist Gewässerökologe Gottfried Lehr daraufhin: »Die Wiesen dort sind FFH-Gebiet, die dürfen nicht betreten werden.« Diese Naturschutzgebiete seien mit oder ohne Überflutung zu schützen und nicht zu stören. Angesprochen auf die Kanufahrer und den Hochwasser-Tourismus entlang des Gronauer Sees meint Lehr: »Die Natur ist kein Rummelplatz. Aber hier sollte man nicht den Zeigefinger erheben oder Verbote aussprechen, sondern aufklären, welchen katastrophalen Einfluss auf die Tiere und die Natur so ein Verhalten nimmt.«