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„Nehmt einander an!“ – Wort zum Sonntag

„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“ (Römer 15,7)

Ein Vers aus der Bibel, der das ganze Jahr hindurch begleiten soll. Das ist der Sinn einer Jahreslosung: Ein aus einer Vielzahl geeigneter Verse ausgesuchter Bibelspruch. Für 2015 stammt der vom Apostel Paulus aus seinem Brief an die frühchristliche Gemeinde in Rom. Von Papsttum und späteren Zeiten war dort noch nichts zu spüren. Die wenigen Christen waren Teil der römischen Gesellschaft und des Weltreichs zu Beginn der Kaiserzeit. Und sie hatten keinen leichten Stand als Menschen, die nur einen Gott zuließen: Den Gott der Bibel. Trotzdem erwartet Paulus von ihnen gelebte Nächstenliebe: „Nehmt einander an!“ Das aber nicht einfach so. Christus selbst stellt er den Christen Roms als Vorbild vor ihre Augen: Christus hat uns alle angenommen – wie wir sind, mit allen Schwächen, Begrenzungen und aller Schuld. So sollen wir es mit den Menschen um uns herum machen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Drunter geht es für Paulus nicht, denn er ist sicher, dass solch gelebte Nächstenliebe Gott selbst erwartet. Zu seinem Lob sollen wir leben und unsere Nächsten lieben. Trotz aller Unterschiede der Lebensweisen hat sich über die 2000 Jahre seit damals nichts an dieser Grundaussage verändert: Wir sollen leben zum Lob Gottes. Wir sollen andere annehmen und ihnen mit Liebe begegnen. Wir dürfen daraus leben, dass wir selbst von Christus angenommen sind wie wir sind. Es ist gut, dass auch heute diese Zusage an erster Stelle steht. Keine Anforderung und Aufforderung, sondern das Versprechen Christi: Ich bin dein Bruder, stehe an deiner Seite, nehme dich, so wie du bist. Es ist Markenzeichen christlichen Glaubens, dass dieser Zuspruch dann mit dem Anspruch an unser Leben verbunden ist: Lebe diese Annahme selbst.

Es macht mich betroffen und ratlos, dass in unserem Land Menschen dies vergessen und sich damit sogar auf christliche Werte berufen – die sie aber erkennbar nicht verstanden haben. Die christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren sind trotz immer neuer Verfolgungen gewachsen, weil die Christen durch ihre gelebte Nächstenliebe beeindruckt haben – nicht durch Abgrenzung oder Ängste, sondern durch die offensichtlich glaubwürdige Umsetzung der Jahreslosung 2015. Wie viel können wir lernen von der Furchtlosigkeit der ersten Christengemeinden, von ihrem Gottvertrauen, von ihrer Liebeskraft. „Fürchtet euch nicht“ rufen die Engel in der Heiligen Nacht den Hirten zu. Davon haben sich die ersten Christengemeinden leiten lassen. Der Ruf der Engel gilt auch uns: „Fürchtet euch nicht“, sondern werdet zu glaubwürdigen Zeugen der Liebe Gottes, die annimmt und aufnimmt, die mutig gegen Gewalt und Abgrenzung anliebt.

Ich bin dankbar, dass sich in unserer Stadt 2014 so viele so selbstverständlich für eine menschenfreundliche Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt haben. Verborgene Ängste und dumpfe Ausgrenzung mag es hier und da auch bei uns geben. Deutlich nach außen aber wird ein anderes Signal getragen und das ist gut so. Solche Taten der Liebe machen Mut auch für 2015 – dazu kommt Aufklärung: Zwei Informationsabende über den Islam sind für Februar in unserer Gemeinde geplant. Lassen Sie uns im Geist der Jahreslosung leben – mit Blick auf Flüchtlinge unter uns, aber auch für alle anderen Situationen des alltäglichen Lebens: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“. Seien Sie herzlich gegrüßt zum Neuen Jahr 2015, Gottes Segen sei mit Ihnen,

Pfarrer Dr. Klaus Neumeier,

Ev. Christuskirche Bad Vilbel