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Pilgern als Weg zu sich selbst

Zu Fuß und mit 8-kg-Rucksack nach Santiago de Compostela

Über ihre Pilgerschaft auf dem Jakobsweg berichten Helmut Demmig und Atiye Bilen. Foto: Dieter Deul
Über ihre Pilgerschaft auf dem Jakobsweg berichten Helmut Demmig und Atiye Bilen. Foto: Dieter Deul

Bad Vilbel. Auf dem Jakobsweg pilgerten Helmut Demmig und Atiye Bilen nach Santiago de Compostela. Davon erzählten sie jetzt in der Interviewreihe der Bürgeraktive. „Ich könnte so jetzt ins Flugzeug steigen und losfliegen – ich hab’ alles dabei“, sagt Helmut Demmig, schultert seinen Acht-Kilo-Rucksack, zieht den Hut auf und greift zum Wanderstab. Schmunzelnd sieht ihm Atiye Bilen zu, die unabhängig von ihm auch auf dem Jakobsweg wandelte.

„Ich bin gegangen, weil es den Weg gibt“, sagt Demmig im Gespräch mit Bürgeraktive-Leiterin Eva Raboldt. Und das schon fünf Mal. „Das macht süchtig, bekennt der 73-Jährige. Atiye Bilen erinnert sich, dass sie aus religiösen Gründen schon vor Jahren pilgern wollte, aber da waren ihre Kinder noch zu klein.

Das Buch von Hape Kerkeling über dessen Pilgerreise im Jahr 2001 sei veraltet, sagt Demmig: „Es ist bequemer geworden, Wege wurden entschärft, es gibt auch keine frei laufenden Hunde mehr“. Er hat auch seine Ausrüstung verändert. Ging es anfangs noch mühsam mit dem 18-Kilo-Rucksack voran, so wiegt seine aktuelle Ausrüstung kaum acht Kilo. Profi-Pilger sparten gar an jedem Gramm, sägten sogar den Stiel ihrer Zahnbürste ab und benutzten Mullbinden als Handtuch. Entschleunigung ist Teil der Faszination des Weges. „Man muss offen sein“, findet Bilen. Und neugierig, ergänzt Demmig. Beide haben auf ihrer Pilgerschaft Begegnungen mit Mitwanderern gehabt, die so in Deutschland nie stattgefunden hätten. Bilen kennt nicht mal die Namen ihrer Begegnungen, doch sie hat mit ihnen ganz persönliche, private Gespräche geführt.

Mit dem Wissen, man sieht sich danach nie wieder, aber auch, weil die Pilger ein gemeinsames Ziel positiv motiviert. Es sei heute schwierig, sich nicht zu verlaufen, findet Demmig. Ganz im Gegensatz zur hiesigen Bonifatius-Route, die durch die Wetterau führt. Schon hinter Altenstadt habe der Weg sich plötzlich gegabelt und um ein Fabrikgelände in die Irre geführt.

Pilgern hat für ihn ein Ziel „Innere Ruhe“, sagt Demmig. „Das ist ein klein bisschen wie Aussteigen“, aber mit Heimkehr. Und er hat auf Raboldts Frage nach dem perfekten Tag die Antwort: „Gesund aufstehen – das ist ein Geschenk!“ (dd)


Nächster Gast der „Vilbeler Einblicke“ ist am 23. Januar um 19.30 Uhr im Haus der Begegnung die SPD-Stadtverordnete und Pflegerin Lucia André.