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Weihnachten ist bei uns im Februar

25 Jahre Tafeln in Deutschland: Christa Gobst und ihr Team greifen in Bad Vilbel Bedürftigen unter die Arme

So könnte ein typischer Korb eines Kunden aussehen: Richard Fry packt beim Rundgang ein, was sich viele Bedürftige nicht leisten können. Foto: Kopp
So könnte ein typischer Korb eines Kunden aussehen: Richard Fry packt beim Rundgang ein, was sich viele Bedürftige nicht leisten können. Foto: Kopp

Vor 25 Jahren wurde in Berlin die erste Tafel gegründet, vor zehn Jahren folgte die Gründung der Tafel Bad Vilbel. Trotz der wirtschaftlich guten Lage sind viele Menschen dankbar für die Möglichkeit, das Lebensmittelangebot für kleines Geld erweitern zu können.

Bad Vilbel. Es ist Weihnachten! Zumindest für die Bad Vilbeler Tafel-Kunden. Denn die erhalten für ihre Kinder derzeit Adventskalender, es gibt auch Lebkuchen und andere weihnachtliche Süßigkeiten. „Weihnachten ist bei uns im Februar, Ostern im Juni“, sagt Christa Gobst, die die Tafel in Bad Vilbel unter der Regie des Vereins Nachbarschaftshilfe leitet. Denn im Verkauf der Supermärkte haben die Waren nichts mehr zu suchen.

Montags, dienstags und mittwochs ist für die 54 Helfer der Bad Vilbeler Tafel viel zu tun.

Das beginnt mit dem Einsammeln der Waren mit dem vereinseigenen Transporter. Mittwochs lenken ihn Hans-Werner Opitz und Harald Spahn. Der Büdesheimer fährt bereits morgens um 6 Uhr zu einer Bäckerei in seinem Wohnort und liefert so Brötchen und andere Backwaren nach Bad Vilbel. Zehn Touren stehen in den drei Tagen an, angefahren werden Supermärkte, aber auch zahlreiche Landwirte in der Umgebung.

Mittwochs sind es vor allem Obst und Gemüse, die Opitz und der für die Fahrten zuständige Günther Weinrich ausladen. Überhaupt war Ende Februar das Angebot an Obst und Gemüse recht reichlich, auch wenn nicht für jeden der gut 280 Abholer und damit fast 400 Menschen alles da ist. Doch wer mit Zucchini und Aubergine nichts anfangen kann, greift eben zu Rettich und Kohl. Auch Spinat, Salate und diesmal reichlich Kartoffeln gibt es. „Wir achten darauf, dass alle Kunden ein ausgewogenes Angebot bekommen können“, erklärt Christa Gobst.

Andrang ist groß

Denn nicht alle Kunden kommen gleichzeitig in die Räume. Der Andrang ist so groß, dass Christa Gobst zunächst die anwesenden Kunden empfängt und ihnen farbige Zettel in die Hand drückt. Die Kunden wissen dann schon eine Woche vorher, wann sie am nächsten Mittwoch, ihrem Einkaufstag, dran sind. Zwischen 14 und bis nach 16 Uhr werden sie eingelassen. Vorige Woche bekommen sie von Gobst zunächst Adventskalender und auch Restsortimente des Supermarkt-Bedieners Tchibo. Der hat etwa Winterjacken und Skianzüge für Kinder gespendet. Auch Eier von den beteiligten Landwirten sowie H-Milch – gespendet vom Verein „Wir Massenheimer“ – gibt es hier. Im vergangenen Jahr hat der Verein 2642 Liter zusammengebracht.

Obst und Gemüse

Danach geht es weiter in den Hauptraum. Zehn Helfer der Tafel empfangen die Bedürftigen an verschiedenen Stationen. Anhand der von der Tafel angefertigten Kärtchen sehen sie, wie viele Köpfe der jeweilige Kunde versorgen muss. Dann gibt es entsprechend viel an Brot und Brötchen – manchmal auch Kuchen –, Kühlwaren wie Joghurt, Obst und Gemüse. Auch Kaffee gibt es heute.

Aber auch haltbare Waren werden in einem eigenen Raum bevorratet. Die stammen meist aus der jährlichen Tafel-Aktion von Rewe, bei der Kunden für fünf Euro eine Tüte packen lassen können, die dann an die Tafeln verteilt werden. Auch Rewe Kaffenberger beteiligt sich mit einer eigenen Aktionen, ebenso das Herkules-Center in Dortelweil. Da gibt es dann Reis, Knödel, Nudeln, Dosensuppen und mehr, auch Toilettenpapier und andere Aktionsware ist dann mal dabei. „Wir teilen das über einen längeren Zeitraum auf, denn unter dem Jahr erhalten wir diese Produkte nicht“, schildert Gobst. Rund 50 der grünen Kisten sind derzeit noch in den Regalen aufgereiht.

Eine Tüte mit einer Auswahl der Waren gibt es für Einzelpersonen für einen Euro, zwei und mehr Köpfe zahlen zwei Euro. Die größte Familie hat sieben Kinder. Dafür müssen sich die Kunden zuvor einmalig registrieren lassen. Einzelpersonen dürfen nicht mehr als 912 Euro netto im Monat einnehmen, bei Paaren sind es 1181 Euro. Für jedes Kind kommt noch einmal ein kleiner Zuschlag drauf. Die dann ausgestellten Tafelausweise gelten für ein halbes Jahr. Dann muss der Nachweis erneut geführt werden. Denn es kann ja sein, dass die Bezieher einen Job gefunden haben.

Im Jahr verteilt die Tafel rund 56 Tonnen Obst und Gemüse. Hinzu kommen 8,8 Tonnen Milchprodukte, sechs Tonnen Backwaren und fast 13 Tonnen sonstige Lebensmittel sowie knapp 6800 Eier. Dazu holen sie Waren bei 25 Lebensmittelhändlern, Bäckereien, Bauernhöfen und einer Metzgerei ab. Die Kunden kommen zwar alle aus Bad Vilbel, sind aber längst nicht mehr nur Langzeitarbeitslose und Menschen, die durch Suchtprobleme abgerutscht sind. „Es trifft auch alleinerziehende Mütter, die nicht arbeiten gehen können oder Menschen, die durch schwere Erkrankung frühverrentet werden“, beschreibt Gobst ihre Klientel.

Seit gut drei Jahren sind es auch zunehmend Flüchtlinge, die das Angebot in Anspruch nehmen können. Sind sie nicht anerkannt, haben sie keine Einkünfte, doch auch nach der Anerkennung ist der Aufstieg auf der sozialen Leiter schwer, die Bedürftigkeit bleibt.

Heute 200 Kunden

Als die Tafel vor zehn Jahren während der Finanzkrise gegründet wurde, waren es zunächst etwa 30 Abholer, die sich registrieren ließen. Das wuchs innerhalb weniger Jahre auf rund 100 Menschen an. Mittlerweile sind es 200, so viele, dass Gobst und ihre Helfer einen Zwei-Wochen-Rhythmus einführen mussten. Jeweils 100 werden also immer mittwochs in der Ritterstraße 34 empfangen. Seit Gründung der Tafel vor zehn Jahren haben 595 Kunden Ausweise beantragt.

Doch dass der Besuch bei der Tafel nicht der einzige Einkauf in dieser Woche ist, macht Gobst auch deutlich. „Das ist keine 1:1-Versorgung, sondern nur ein zusätzliches Angebot. Damit sollen die Kunden auch einmal Artikel bekommen, die sie sich sonst nicht leisten können.“Nicht nur für das Kundengeschäft werden dringend Spenden benötigt. Denn die Tafel muss auch Miete bezahlen, Strom, Benzin, Reparaturen. An der Miete beteiligt sich die Stadt Bad Vilbel.

Gerade in der Weihnachtszeit sind es Firmen, die Gutes tun wollen und dem Verein eine Geldspende überreichen. So hatten die Mitarbeiter von Brother International mit Sitz in Bad Vilbel haltbare Lebensmittel gespendet, die Geschäftsführung zudem noch einmal 5000 Euro. „Damit kommen wir ganz gut durchs Jahr, aber wir brauchen natürlich immer Spender“, sagt Gobst.

So steht in diesem Jahr die Anschaffung eines neuen Fahrzeuges an, mit dem Märkte und Bauernhöfe angefahren werden sollen. Im September begeht die Bad Vilbeler Tafel ihr zehnjähriges Bestehen. Christa Gobst war damals im Vorstand der Nachbarschaftshilfe aktiv, sah die Probleme in anderen Städten. Und rief die Tafel gemeinsam mit anderen Mitgliedern ins Leben. Doch wie jeder Verein, hat auch die Tafel ein Problem mit immer älter werdenden Mitarbeitern. Schwere Kisten sind zu schleppen, „und wir sind alle über 60 Jahre alt“, sagt Gobst. Doch schätzt sie, dass es auch in den kommenden Jahren noch reichlich zu tun gebe. Derzeit sei die Situation noch gut, „aber Helfer sind jederzeit willkommen“.