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„Das machen wir!“

SPD-Staatssekretär Roth über Krisenmanagement und Flüchtlingsströme

Mischt sich gerne unters Publikum: Staatssekretär Roth (re.) hört sich aufmerksam die Fragen zur Flüchtlingskrise im Nahen Osten und in Deutschland an. Foto: Sänger
Mischt sich gerne unters Publikum: Staatssekretär Roth (re.) hört sich aufmerksam die Fragen zur Flüchtlingskrise im Nahen Osten und in Deutschland an. Foto: Sänger

Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, berichtete über die aktuelle Flüchtlingssituation im Nahen Osten und in Deutschland. Seine Botschaft: Europa ist derzeit „eine von Krieg, Not und Unheil umgebene Insel“.

Bad Vilbel. Allein in unmittelbarer Nachbarschaft Europas gebe es zehn bewaffnete Konflikte, so der Referent. Mehr als 20 Millionen Menschen seien auf der Flucht. Weltweit seien es 60 Millionen. „Da ist es wichtig, nicht die Flüchtlinge zu bekämpfen, sondern die Fluchtursachen.“ Die Grenze dicht machen ist für den Staatsminister keine Lösung, nur eine Verlagerung des Problems. Roth kritisiert die Geschichtsvergessenheit besonders jener EU-Länder, welche in der jüngsten europäischen Geschichte selbst vom Fall der Grenzen und der Mauern profitiert hätten, beispielsweise Ungarn.

Doch die Flüchtlinge kämen, sie seien da, und zwar nicht, weil in Deutschland Milch und Honig flössen, sondern die nackte Not sie dazu zwinge. Das Wort der Kanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das!“ müsse erweitert werden in „Wir machen das!“ sagt Roth. „Ein 80 Millionen zählendes Volk muss perspektivisch doch in der Lage sein, einige wenige Millionen Flüchtlinge aufzunehmen.“ Was fehle, sei eine Geschlossenheit in der EU, diese Probleme auch politisch zu lösen.

Konkrete Zahlen kann und will Roth „zurzeit nicht nennen“. Aber 75 Prozent der Flüchtlinge stammten aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan – nicht aus Nordafrika. Die Anerkennungsquote bei Syriern und Irakern in Deutschland liege bei weit über 90 Prozent, bei 47 Prozent bei den Afghanen.

Von den einst 20 Millionen Einwohner in Syrien seien zwölf Millionen auf der Flucht. Davon irrten sieben Millionen im zerbombten und eingekesselten Städten in Syrien selbst umher. Fünf Millionen Syrer hätten das Land verlassen und „es werden täglich mehr,“ beschreibt Roth die Situation.

Noch ohne Antworten

Unsicherheit und Ratlosigkeit mache sich bei vielen Menschen breit – auch bei den Flüchtlingshelfern. „Die Frage ist derzeit nicht, wie viele Flüchtlinge noch kommen, sondern die Frage ist,“ sagt Roth, „wie wir das auf absehbare Zeit noch bewerkstelligen können.“ Und weiter räumt Roth ein: „Die Leute wollen wissen und brauchen das Gefühl, wie es geordnet und verantwortungsbewusst weiter geht, aber wir sind noch nicht soweit, Antworten zu geben, das ist die Schwierigkeit derzeit.“ Und ein gefundenes Fressen für Rechtspopulisten. Deren nationalistische Propaganda trage nichts zur Lösung der Flüchtlingskrise im Nahen Osten bei.

Der Staatsminister kritisiert hierbei auch das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. „Die Fälle müssen schneller und unbürokratischer bearbeitet werden. Das ist wichtig für die Kommunen und Kreise und die Flüchtlinge selbst.“ Gegenwärtig seien es rund 700 000 Menschen, die nach monatelangem Aufenthalt in Deutschland nicht wüssten, ob sie bleiben dürften oder nicht, erläutert Roth. „Von einer schnelleren Bearbeitung der Fälle sind wir im Moment noch weit entfernt.“

So mache es keinen Sinn, jede Woche neue Gesetze zu beschließen. „Das Entscheidende ist doch, dass die bestehenden Gesetze erst mal umgesetzt werden.“ Deren Vorgabe laute danach, dass binnen drei Monaten entschieden werden müsse, was aber nicht der Fall sei. Aber „wir können nur Menschen abschieben, wenn wir vorher völkerrechtlich und nach den Gesetzen festgestellt haben, dass sie nicht bleiben können“. Die gegenwärtige Diskussion über die Familienzusammenführung hält Roth für eine „Scheindebatte“. Er ist da „eher ein Skeptiker, weil wir schaffen das gar nicht, alle Familienangehörigen zusammenzubringen.“ In den Auslandsvertretungen werde ein Dreischichtenbetrieb hierfür organisiert mit Wartezeiten bis zu zehn Monaten. 2015 waren es 18 000 Anträge. Bei einer Million Flüchtlinge „eine verschwindend geringe Zahl“.

Rückführung

Anders sei die Situation bei den Wirtschaftsflüchtlingen. Bis September vergangenen Jahres kamen beispielsweise noch 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem West-Balkan. Bei diesen Fällen plädiert Roth für eine „konsequente Rückführung“. Wenn auch die soziale und wirtschaftliche Not dort massiv sei, so herrsche dort kein Krieg und es bestehe keine Gefahr für Leib und Leben.

Diese Abschiebepraxis sei auf dem Balkan bei den Wirtschaftsflüchtlingen und Schleppern angekommen. Heute seien dies nur noch zwei Prozent der Flüchtlinge, die per Bus-Ticket und Schlepper-Abzocke von 1000 Euro versuchten, nach Deutschland zu kommen, sagt Michael Roth. Von den anerkannten Flüchtlingen fordert Roth Integrationsleistungen ein.


Diplom-Politologe Michael Roth ist seit 2013 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Von 2009 bis 2014 war er Generalsekretär der SPD Hessen, bis 2013 europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er ist Mitglied im Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.