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Friedenswald soll wachsen

Karben Vorname, Nachname, Alter - Namen über Namen. Insgesamt sind es 570 auf dem Gedenkstein am neuen Friedenswald notiert. All diese Menschen sind Opfer des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs. Foto: Schenk
Karben Vorname, Nachname, Alter - Namen über Namen. Insgesamt sind es 570 auf dem Gedenkstein am neuen Friedenswald notiert. All diese Menschen sind Opfer des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs. Foto: Schenk

Karben. 570 Bäume sollen zum Frieden mahnen. Am Volkstrauertag ist zum Gedenken an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren der Karbener Friedenswald eingeweiht worden. Gegenüber der Gemeinschaftsobstanlage in Klein-Karben, an der Büdesheimer Straße, wurde diese zentrale Erinnerungsstätte geschaffen. Sie erinnert an zivile Opfer, Karbener jüdischen Glaubens, die im Holocaust ermordet wurden, und an die Soldaten, die im Krieg gefallen sind.
Noch sind die gepflanzten Buchen noch Bäumchen. An den dünnen Stämmen hängen ein paar verwelkte Blätter. Jeder Baum steht für einen gestorbenen Menschen. 570 sind es – gefallene Soldaten, Zivilisten und ermordete Juden aus den Karbener Stadtteilen.
Bis zum Jahr 2025 soll an Ort und Stelle ein stattlicher Wald entstehen. Dann jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal. Die Wege sind zum Teil schon vorhanden ebenso wie die Gedenktafel mit den Namen der Toten. Die Anlage wird mit ihren Bäumen in die Zukunft wachsen. So haben es die Planer, die aus mehreren städtischen Vereinen und Organisationen kamen, vorgesehen. Gereift ist das Projekt seit dem Sommer.
Initiator Stephan Kuger von der evangelischen Kirchengemeinde Rendel sprach vor zahlreichen Zuschauern von »570 Bäumen, die zum Frieden mahnen und eine lebendige Erinnerung sein sollen«. Bis 2025 und darüber hinaus werde der Friedenswald weiterwachsen und vielleicht helfen, »die Distanz des Unfassbaren zu überwinden«. »Wäret allen Anfängen des Krieges«, mahnte Kuger.
Lebendiges Denkmal
Bürgermeister Guido Rahn erklärte, warum dieses zentrale Projekt für Karben so wichtig sei. Gedenkveranstaltungen in jedem Stadtteil hätten heute ihren Sinn verfehlt. »Wir wollten kein in Stein gemeißeltes Denkmal, sondern etwas Lebendiges. Das Thema Krieg ist immer aktuell, deswegen ist das Gedenken auch so wichtig.«
Pfarrer Werner Giesler schilderte die Geschichte einer Familie aus Klein-Karben. Die Schneiders waren von alters her Landwirte. Auch während des Dritten Reiches bearbeiteten Großvater, Sohn und Enkel die Felder und brachten Jahr für Jahr die Ernte ein.
Mit zunehmender Dauer des Krieges wurden immer mehr Männer über 35 Jahre eingezogen. Unter ihnen war auch Karl Philipp Schneider. Seinen 64-jährigen Vater Philip Michael Schneider trieb das in die Verzweiflung, war sein Sohn doch der Hoferbe. Er sah nur eine Lösung: Um seinen Sohn vor dem Kriegsdienst zu bewahren und den Fortbestand des Hofes zu sichern, musste er ihn zum Alleinbesitzer machen. Und so nahm sich der alte Schneider das Leben. Doch fiel sein Enkel Walter Schneider am 9. September 1941 mit 21 Jahren bei Charkow in der Ukraine. Aufgeschrieben hat diese Geschichte Karla Eberhard.
Name des Vaters
Schneider ist ein Familienname, der oft unter den Toten zu finden ist. Viele Familien verloren mehrere Angehörige. Menschen, die im höheren Alter oder als Kinder starben, gehörten meistens zu den deportierten Juden; junge Männer um die 20 starben als Wehrmachtssoldaten. Zehn Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgangsstufen Q3, Q1 und 9 der Kurt-Schumacher-Schule lasen alle 570 Namen. »Wir lesen abwechselnd immer zehn Namen vor«, sagte Sohraab Ahmadi. »Am Mittwoch waren wir bereits hier vor Ort, um den ganzen Ablauf zu proben.« Neben ihm lasen Mia Dettingmeijer, Moritz Gubitzer, Attila Günes, Lena Harbisch, Leon Hirsch, Chiara Jenner, Chinh Nyguyen, Lena Wilcke und Helen Züsch.
Elisabeth Hauza, geb. Koch, suchte unter den verzeichneten Namen den ihres Vaters. Er sei am 24. Januar 1945 im Elsass gefallen. »In Niederbronn liegt er auf dem Soldatenfriedhof«, erzählte sie. »Dort war er bei einer Familie im Quartier, zu der ich noch heute Kontakt habe. Die Tochter besuche ich mehrmals im Jahr. Sie ist jetzt 90 Jahre alt.« An ihren Vater könne sie sich kaum noch erinnern – nur an seine Stiefel und an den Ausruf der Mutter: »Papa ist da«, als er einmal auf Urlaub heimgekommen sei. »Ich war erst fünf, als er fiel.«