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Steine gegen das Vergessen

Mahnung und Erinnerung wieder besser sichtbar machen: Mitglieder der Naturfreunde Bad Vilbel reinigen »Stolpersteine« in der Frankfurter Straße Foto: Christine Fauerbach.
Mahnung und Erinnerung wieder besser sichtbar machen: Mitglieder der Naturfreunde Bad Vilbel reinigen »Stolpersteine« in der Frankfurter Straße Foto: Christine Fauerbach.

Bad Vilbel. Die vom Kölner Künstler Gunter Demnig ins Trottoir vor den einstigen Wohngebäuden jüdischer Mitbürger oder politisch Verfolgter eingelassenen goldglänzenden Stolpersteine aus Messing sind Mahnung und Gedenkstein in einem. Die Naturfreunde Bad Vilbel haben am »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus« (27. Januar) die Stolpersteine geputzt und an das Schicksal der einstigen Vilbeler erinnert.
Sie waren Nachbarn, Freunde, Mitschüler, Kollegen, Arbeitgeber, Ärzte, Lehrer, Handwerker, Gewerkschafter, Vereinskameraden und vieles mehr. Dann wurden aus ihnen »Juden«. Sie wurden angefeindet, ihrer Rechte beraubt, misshandelt, verfolgt, verhaftet, ihr Eigentum wurde gestohlen. Sie wurden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, gequält und ermordet. Um das Gedenken an die Opfer des Holocaust wachzuhalten, haben die Vereinten Nationen 2005 den 27. Januar zum »Internationalen Tag des Gedenkens« erklärt. Der Jahrestag bezieht sich auf den 27. Januar 1945, den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee 1945.
»Allein in Auschwitz wurden mehr als eine Million Menschen ermordet«, erinnerte Andrea Halling, Pressereferentin der Naturfreunde Bad Vilbel. Der Verein hatte am Freitag seine Mitglieder und alle Bürger zur Stolperstein-Putzaktion aufgerufen. Überall in der Stadt erinnern ins Pflaster vor den einstigen Wohnhäusern eingelassene, glänzende Stolpersteine aus Messing an die in den Jahren 1933 bis 1945 verfolgten, verschleppten und ermordeten jüdischen Mitbürger Bad Vilbels.
Gemeinde mit eigener Schule
Bürger jüdischen Glaubens sind in der kleinen Gemeinde Vilbel ab 1670 nachweisbar. 1712 gab es fünf unter kaiserlichem Schutz stehende Juden in der Gemeinde. Ende des 18. Jahrhunderts gab es eine jüdische Gemeinde mit einem Vorstand und eine eigenen Schule ab 1841. Im Jahr 1930 lebten 70 Bürger jüdischen Glaubens in der Stadt.
Treffpunkt der Stolperstein-Putzaktion war am Alten Rathaus an dem im November 1999 aufgestellten Gedenkstein. Von hier aus führte der Weg der Teilnehmer in die Frankfurter Straße. 2006 und 2009 hatte der Künstler Gunter Demnig hier 25 Stolpersteine zur Erinnerung an die jüdischen Mitbürger, die Opfer des Pogroms vom 10. November 1938 verlegt.
Einen Tag nach der Pogromnacht im Deutschen Reich marschierte am 11. November 1938 ab 17 Uhr auch eine »Gruppe namhafter Vilbeler Bürger« durch die Stadt, um jüdische Bürger zu demütigen, zu misshandeln und ihr Eigentum kurz und klein zu schlagen. Erste Station des Mobs war das Haus von Siegfried Wechsler in der Frankfurter Straße 20 gewesen. Wechsler handelte mit Getreide, Futter- und Düngemitteln und verdingte sich als Fuhrmann. Die Nazis misshandelten die Familie, zerstörten die Wohnung, kippten einen auf dem Hof geparkten Lastwagen um und zerschlugen das Leergut.
Aufgrund des am 1. April 1933 in Friedberg ausgerufenen Boykotts jüdischer Geschäfte, musste die Familie ihr Geschäft aufgeben und ihr Haus verkaufen. Alle starben in Konzentrationslagern.
Auch Karoline Schiff, Frankfurter Straße 41/Ecke Grüner Weg, wurde geschlagen und ihr Eigentum zerstört. Aus Angst vor dem Mob hatte sich die gelernte Schneiderin, Kurzwarenhändlerin und Stickerin in Todesangst unter ihrem Bett versteckt. Sie wurde entdeckt und hervorgezerrt. Im September 1938 musste sie ihr Geschäft abmelden. Sie wurde 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert und dort am 10. März 1943 ermordet.
Stolpersteine erinnern an die Familie von Simon Wechsler in der Frankfurter Straße 41 und viele andere Vilbeler.
Ins Getto gezwungen und dann deportiert
Für die nach dem Übergriff des Mobs in der Stadt verbliebenen jüdischen Bürger Elise Strauß, Adolf und Fanny Goldberg, Karoline Schiff und Isidor Strauß, wurde vorerst bis zur Deportation aller Vilbeler Juden 1942 in der Judengasse 2 ein Ghetto eingerichtet.
Zu den Opfern und Verfolgten des gehörten zählten des Weiteren unter anderem der Schulleiter und Lehrer der ehemaligen Vilbeler Realschule, Dr. Albert Chambré, der Sozialdemokrat und Gewerkschafter Martin Reck, der Allgemeinmediziner Dr. Ludwig Szametz und der Küfer Isidor Strauß.
Von Christine Fauerbach