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Alt werden, alt sein

Die Rente mit 63 hat die Diskussion wieder von neuem angefacht: Haben die Älteren sich den Ruhestand nicht redlich verdient, nach manchmal 40 oder sogar mehr Arbeitsjahren, in denen man Beiträge eingezahlt hat, die Rente auch vollständig zu beziehen? Das Gegenargument kommt direkt danach: die Mehrkosten muss die jüngere Generation zahlen, deren eigene Rente nicht mehr sicher ist und die eine immer größer werdende Zahl von Älteren mitfinanzieren muss. Schon ist man im unschönen Kampf der Generationen und in Diskussionen, bei denen einer dem anderen neidet, was er oder sie hat bzw. braucht. Na ja, so weit geht es oft nicht und manchmal wird die Debatte medienwirksam aufgebauscht. Aber das Thema ist oft emotional geladen, vielleicht weil es schnell mit Angst besetzt ist. Vielleicht steht dahinter die bange Frage, wie das eigene Alter wohl werden wird. Wenn man nicht mehr gesund und stark ist, braucht man wenigstens materielle Sicherheit. Wohl niemand will auf Andere angewiesen oder gar hilflos von ihnen abhängig sein. Alt zu sein ist für die meisten keine schöne Vorstellung. Jung wollen alle sein, oder so lange wie möglich bleiben.

Vielleicht liegt es daran, dass wir heute Altsein vor allem als „Mangel an“ definieren. Körperlich setzt ein „immer weniger“ irgendwann ein. Aber dass wir uns darauf konzentrieren, ist keine zwangsläufige Sicht. Wo sich vieles rasch verändert, Flexibilität, Tempo und Anpassungsfähigkeit wichtig sind, sind jüngere Menschen tendenziell besser zu gebrauchen. Aber wo eine Gesellschaft die Weitergabe von Wissen und Erfahrung hoch schätzt, sind alte Menschen im Vorteil. So beschreibt die Bibel alte Menschen selten als gebrechlich, sondern eher als gesegnet. Das gilt für den einzelnen wie auch für seinen Platz in der Gesellschaft. Mit dieser Sicht, muss man vor dem Altwerden weniger Angst haben. Je älter ich bin, umso gesegneter kann ich sein: an Erfahrung und Wissen, an Lebensweisheit, vielleicht mit Gelassenheit und mit vielen Glaubenserfahrungen gesegnet. Automatisch geht das natürlich nicht, aber wir können doch das Segensreiche der Jahre bewusst verstärken und sammeln. In vielem liegt es an mir, ob ich vor allem über körperliche Gebrechen klage oder bewusst und dankbar wahrnehme, was mir geschenkt wird und wurde.

Jede Lebensphase hat ihren Sinn und zwar von Gott geschenkt. „Alles hat seine Zeit“, steht im Buch des Predigers. „Geboren werden hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit“ und in Psalm 31 steht: „Meine Zeit steht in deinen Händen“. Meine ganze Lebenszeit und das, was ich daraus mache, in jedem Alter. Es wäre doch eine wahnsinnige Zeitverschwendung, wenn wir uns nur über Jugendzeit oder die des jungen Erwachsenseins definieren. Es wäre so ein Verlust, wenn man die Zeit des Altwerdens verpasst und das Altsein nicht nutzt. So glaube ich, können wir gesegnet alt werden.

Pfarrerin Ulrike Mey

Ev. Christuskirchengemeinde

Bad Vilbel