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Berühmt durch Wasser – Mit Sylvia Reich als Cäcilie Brod auf den Spuren der Quellengeschichte und der noblen Gesellschaft

Bad Vilbel. Sylvia Reich schlüpfte dieser Tage ins elegante schwarze Kostüm der Sprudelbesitzergattin Cäcilie Brod und erzählte, wie sich das einstige Bauerndorf Vilbel zur fortschrittlichen Adresse für Wasserkuren entwickelte. Den Titel „Bad“ bekam die Stadt erst am 7. Mai 1948 verliehen.

Bei hochsommerlichen Temperaturen schritt sie elegant mit dem Schleppenkleid aus sieben Meter Stoff durch die Stadt, denn damals, um 1900, „zeigte man, was man war“. Dass die Schleppe verschmutzte, war egal, denn dies demonstrierte: Wir können es uns leisten. 5800 Einwohner hatte Vilbel damals, viele Hofreiten, Essig- und Likörfabriken und „unverhältnismäßig viele Gaststätten“. 1820 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben. 1850 rückte der Bau der Main-Weser-Bahn die Metropole Frankfurt näher, als zuvor die beschwerlichen Kutschfahrten über den Schöllberg.

Um 1900 wollten die feinen Bürger Vilbels den Fortschritt heraufbeschwören. Im „Vilbeler Anzeiger“ lästerten sie 1901 gegen undichte Düngewagen und zu laute Peitschenklänge, so Reich. Ihr Alter Ego Cäcilie Brod erzählte im Innenhof des früheren Familiensitzes am Marktplatz 11 von der Vision ihres Gatten Carl: „Vilbel berühmt machen mit seinem Wasser.“ Zwar konnte in der Stadt schon seit dem 16. Jahrhundert am gemeindeeigenen Brunnen geschöpft werden, auch gab es schon Wasserhändler, die das Nass in Tonkrügen nach Frankfurt verkauften. Eine Sensation war es jedoch, als Brod an seinem Haus nach zweijähriger Bohrung am 21. Juli 1900 in 74 Meter Tiefe einen Sprudel freilegte. Mit 14 Metern überragte er nicht nur das Anwesen deutlich. Er galt als kohlensäurehaltigster Sprudel Europas und zog Beachtung bis nach England und Amerika auf sich. Mit 532 Litern in der Minute sprudelte die Quelle, was einer Menge von 61 000 Wasserkästen täglich entsprach, so Reich. Schon ein Jahr später gab es die ersten 200 Badekuren. Das Anwesen mutierte zum Hotel. Zunächst war der Sprudel nach der Darmstädter Großherzogin Victoria Melitta benannt, berichtete Reich. Doch nachdem sie mit ihrem russischen Cousin Kyril durchbrannte, war das für die „noble Gesellschaft“ kein akzeptabler Name mehr. Fortan hieß es „Brod’scher Sprudel“, was Frankfurter Lästerer zu der Formulierung „Nach Vilbel – zu Wasser und Brod“ verleitet habe, erzählte die Stadtführerin. Dabei war Vilbel damals fortschrittlicher, als manch andere Kommune: 1902 wurde die zentrale Wasserversorgung gelegt, ab 1912 gab es Gas und 1912 elektrischen Strom. Nächste Station der Stadtführung war die Skulptur von Friedrich Grosholz am Marktplatz – einem Gründervater der Quellenstadt. Grosholz war eine illustre Gestalt: kam als Geometer nach Vilbel, wurde Versicherungsagent, Zigarrenmacher, eröffnete 1861 eine Nudelfabrik, die er zur Abfüllhalle für Mineralwasser umwandelte.

Sehr zeitgemäß wirkte Reich alias Brod vor der Kulisse ihres „Landsitzes“, der alten, 1779 von den Franzosen zerstörten Wasserburg. 1902, als seine Badekuren florierten, kaufte Brod die verfallende Burg und wollte sie abreißen, um dort eine große Badeanlage im Jugendstil zu errichten. Brods Tochter Emily hatte auf dem Gelände mit der Wünschelrute weitere Quellvorkommen geortet, die aber nie angezapft wurden.

Brods Vision wäre fast Wirklichkeit geworden. Der damalige Frankfurter Bürgermeister Adickes hatte großes Interesse an einer Zusammenarbeit, sah schon das Prädikat „Bad Frankfurt“ am Horizont. Es gab schon Vertragsentwürfe mit dem Hospital zum Heiligen Geist als Träger, so Reich, doch man habe gewartet, bis 1914 mit dem Ersten Weltkrieg alles anders kam.

Wirtschaftlich überstand Brod die Kriegsjahre mit dem Verkauf von Kohlensäure. Doch später hatte er wenig Fortüne. In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts bedrohten zahllose private Brunnenbohrer die Quellen. 1929 wurde 22 von ihnen der Prozess gemacht, doch gab es nur acht Geldstrafen. Doch Brod als Mitinitiator des Verfahrens war fortan verpönt. 1931 lieferte er noch das Heilwasser für den neuen Heilbadanbau des Kurhauses, doch 1935 versiegte sein Brunnen. Einen neuen zu bohren, wurde ihm verwehrt. 1944 starb er verbittert. Von den 30 Vilbeler Brunnen sind heute noch 15 aktiv.

Nächste Stadtführung: „Jüdisches Leben in Vilbel“; Sonntag, 6. September, 15 Uhr vor dem Alten Rathaus