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Betende Hände – Das Wort zum Sonntag

Kennen Sie das Bild auch, die Betenden Hände von Albrecht Dürer? Viele Ältere werden es sofort vor Augen haben. Als Druck oder Relief, in Holz oder Zinn, in Gips oder Marzipan waren die Betenden Hände ein beliebter Wandschmuck und verschwanden erst in den Wohlstandsjahren allmählich aus dem Blickfeld. Heute sind sie vor allem auf Flohmärkten zu finden.

Wurden die Betenden Hände abgehängt, weil in deutschen Wohnungen kaum noch gebetet wird? Da könnte es einen Zusammenhang geben.

Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als es in einer gut protestantischen Familie selbstverständlich war, vor und nach den Mahlzeiten ein Gebet zu sprechen. „Komm Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast“ beteten wir vor dem Essen, und „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währte ewiglich“ nach dem Essen.

Wenn ich heute evangelische Familien besuche, ist das nicht mehr gang und gäbe. Dafür gibt es viele Gründe: Wenn jemand allein am Esstisch sitzt, fühlt man sich beim Beten manchmal noch einsamer. Wenn die Kinder größer werden, vergisst man das Beten leichter. Dabei wissen wir verstandesgemäß: Die Geste des Innehaltens und Dankens ist angemessen, und es wäre gut, sie im ganz normalen Alltag zu pflegen. Denn das Essen kommt eigentlich nicht aus dem Supermarkt, sondern aus der Erde und wird durch Menschenhände und mit Gottes Segen zu uns gebracht. Außerdem haben längst nicht alle Menschen zu Hause reich gedeckte Tische vor sich.

Und: Es ist ja nicht nur das Tischgebet, es ist ja auch der Tisch verschwunden. Der Tisch als der Ort, an dem sich die ganze Familie zu festen Zeiten versammelt. In meiner Kindheit war das noch eine unumstößliche Einrichtung. Man konnte sich manches leisten, aber zu spät zu Tisch zu kommen, oder überhaupt nicht zu kommen, das war ein unverzeihlicher Verstoß gegen die Gemeinschaft und ihre Spielregeln. Vom Tisch ausgeschlossen zu werden, war eine herbe Strafe. Denn der Tisch war die Mitte. Hier wurde erzählt, erzogen, erinnert, gelacht, gemotzt, geweint, geneckt, und schließlich auch gebetet. Wäre es nur ums Essen gegangen, hätten wir nach einer Viertelstunde vom Tisch aufstehen können. Oft aber saßen wir nach einer Stunde immer noch zusammen.

Heute legt man sich Zettel hin oder schickt sich eine SMS: „Nicht auf mich warten, kann noch nicht aus der Firma weg. Auflauf im Kühlschrank. Bitte warm machen.“

Gegessen wird in der Kantine, im Schnellrestaurant oder vor dem Kühlschrank. Schwierige Orte für Rituale und betende Hände. Warum eigentlich? Wo steht geschrieben, dass Gott sich nur in festen Formeln und mit gefalteten Händen ansprechen lässt? In jedem Lächeln, das ich meinem Tischnachbarn schenke, kann ein „Danke“ stecken. Jedes „Mahlzeit“, das wir uns in der Firma zurufen, heißt eigentlich: „Gesegnete Mahlzeit“. Denken Sie doch daran, wenn Sie wieder einmal „Mahlzeit“ sagen. Der Gruß kommt Ihnen sicher ganz anders von den Lippen.

Pfarrerin Dr. Irene Dannemann,

Ev. Heilig-Geist-Gemeinde

Bad Vilbel – Heilsberg