
Sichtbar machen. Erinnern. Präsent sein. Das soll mit den Tafeln, auf denen Schicksale von Karbener beschrieben sind, die deportiert und ermordet wurden, weil sie Juden waren, erreicht werden. In Groß-Karben am Dallesplatz wird auf
Moritz Roß aufmerksam gemacht.
Karben – Schnell hatte die Stadt am Montag noch den sogenannten Dallesplatz vor der evangelischen Kirche in Groß-Karben auf Vordermann bringen lassen: Müll entfernt, Abfalleimer geleert, Bänke gesäubert. Damit war für die Gedenkstunde, zu der Ortsvorsteher Martin Menn und Hartmut Polzer vom Arbeitskreis Friedenswald eingeladen hatten, alles bereit.
Gemeinsam mit dem Ersten Stadtrat Thomas Schrage und im Beisein einiger Karbener, darunter auch der Groß-Karbener Pfarrer Christian Krüger und der ehemalige Klein-Karbener Pfarrer Werner Giesler, enthüllten sie eine Erinnerungstafel für Moritz Roß. Zusammen mit seiner Frau Klara hatte der jüdische Kaufmann in der nahen Wilhelmstraße (Hausnummer 3) gewohnt. 1942 war das Paar ins Konzentrationslager deportiert und 1944 sind sie in Auschwitz ermordet worden.
Bei der Gedenktafel, die auf dem Dallesplatz enthüllt wurde, handelt es sich um ein Erinnerungsschild, das auch im Friedenswald am Friedhof in Klein-Karben steht. Wie bereits in Rendel und jetzt in Groß-Karben soll demnächst auch in weiteren Karbener Ortsteilen an Einzelschicksale ehemaliger jüdischer Mitbürger erinnert werden.
Termin bewusst
gewählt
»Der Friedenswald ist doch relativ abseits gelegen. Wir wollen die Erinnerung mitten in den Ort holen. Direkt dorthin, wo die Menschen gelebt haben«, sagte Hartmut Polzer vom Arbeitskreis und der »Initiative Stolpersteine« in Karben. Bevor allerdings die Tafel enthüllt und an das Schicksal von Moritz Roß und seiner Ehefrau Klara erinnert wurde, eröffnete Claudia Schwarz die Gedenkstunde musikalisch mit einer auf der Querflöte gespielten Melodie.
»Vor wenigen Tagen, am 8. Mai, haben wir im Friedenswald des Kriegsendes vor 80 Jahren gedacht. Heute, am 12. Mai, erinnern wir an das Schicksal des Groß-Karbeners Moritz Roß«, sagte Erster Stadtrat Schrage. Es sei ebenfalls ein besonderes Datum: »Heute vor 60 Jahren begannen die diplomatischen Beziehungen Deutschlands mit Israel. Der Termin zur Enthüllung wurde deshalb so gewählt.«
Ortsvorsteher Menn gab Einblicke in das Leben von Moritz Roß. »Er wurde 1888 in Groß-Karben geboren und wohnte im Haus in der Wilhelmstraße 3, das sich schon in der dritten Generation im Besitz seiner Familie befand. Von seinen Eltern übernahm er das Geschäft, in dem er Schuhe, Kurz- und Textilwaren verkaufte.« Jedoch nicht nur im Laden in Karben. »Er fuhr erst mit einem Spezialfahrrad, später mit dem Auto über Land, um seine Ware zu verkaufen«, berichtete Menn.
Skatturniere und
Gesangverein
Roß war in der Dorfgemeinschaft gut integriert, engagierte sich im Männergesangverein »Frohsinn« und organisierte Skatturniere. »Zu der Zeit, als Roß in Groß-Karben lebte, gab es hier eine starke jüdische Gemeinde«, informierte Menn und wies auf die zahlreichen Stolpersteine im Ortsteil hin, die davon Zeugnis geben. Etwa 40 Stolpersteine habe der Künstler Gunter Demnig bereits verlegt. Roß habe immer fest daran geglaubt, dass ihm in seinem Groß-Karben nichts passieren könne. Schließlich hatte er im Ersten Weltkrieg gedient, war verletzt und später mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden.
Doch nachdem 1933 Juden mehr und mehr ausgegrenzt und gedemütigt wurden, bemühte Roß sich zusammen mit seiner Frau Klara um eine Auswanderung. Dies gelang jedoch nicht. 1938 musste Roß sein Geschäft schließen, sein gesamtes Anwesen verkaufen und den Erlös auf ein Sperrkonto einzahlen. »Um Schäden zu beheben, die in der Reichspogromnacht entstanden waren, musste er zusätzlich 3000 Mark zahlen. Nach diesen Ereignissen war er ein gebrochener Mann«, sagte Menn.
Mit seiner Frau zog er im Dezember 1938 nach Frankfurt in die Herderstraße. Am 15. September 1942, ihrem 23. Hochzeitstag, wurden Klara und Moritz Roß mit dem Zug ins Ghetto Theresienstadt gebracht. Im Oktober 1944 wurden beide im KZ Auschwitz ermordet.