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Das Wort zum Sonntag – Zwiesprache mit Steinen

Um unsere Kirche in Massenheim liegen in einem Graben viele hundert große runde Kieselsteine, wichtig für die Drainage der mehrhundertjährigen Kirche, seitdem die Steine da liegen, sind die Kirchenmauern besser vor Feuchtigkeit geschützt.

Was der Besucher nicht entdecken kann: Viele dieser Steine tragen Lebens-Gedanken in sich. Die Kiesel könnten Geschichten und Stoßgebete, schmutzige und böse Gedanken erzählen. Wieso? Ich bitte immer wieder kleine, vertraute Menschengruppen, Jugendliche, Kinder, Erwachsene sich einen Stein zu nehmen und ihn zu betrachten. Ich fordere Menschen auf, vertraut mit den Steinen zu werden, ihnen zu erzählen. Menschen kommen mit ihren Steinen ins Gespräch. Sie erzählen den Steinen Geschichten und Gedanken von Liebe und Hass, von Tod und Verzweiflung, von Hoffnung und Trauer. Manche flüstern ihren Steinen etwas zu, die meisten schweigen sie wortlos an, ihre Gesichter berichten davon, dass sie ihren Steinen etwas mitteilen.

Die Steine sind rundlich, sie könnten rollen, etwas ins Rollen bringen. Und dann werden die Steine wieder abgegeben, hingelegt oder hingeworfen, manche sofort, andere nach Stunden oder Tagen, aber die Steine um die Kirche sind nie weniger geworden. Und dann liegen all die Menschengeschichten am Fundament des Kirchenbaus, zurückgelassene Ängste und Sorgen, Erinnerungen, Steine von der Suche von Menschen nach Gott und sich selbst, manche Steine tragen in sich vielleicht die Sehnsucht nach Vergebung.

„Wir müssen alle offenbar werden vor den Richterstuhl Christi.“ Ein Zitat aus dem 2. Korintherbrief Kapitel 5 Vers 10 ist der Wochenspruch dieses Sonntags, den manche „Volkstrauertag“ nennen. Es könnte furchtbar sein, wenn ich offenbar werde, wenn alles von mir allen offen liegt. Mir ist es eine Beruhigung, dass ich meine Geschichten schon zu Lebzeiten wenigstens Gott erzählen kann, und wenn der Adressat naiv-hilflos erst mal nur ein Stein an der Kirchenmauer ist. Ich brauche solche Bilder, solche Steine.

Ich möchte Ihnen Mut machen, sich einen solchen Stein in den nächsten Tagen irgendwo zu suchen, vertrauen Sie Ihrem Stein Ihre Gedanken an.

Ihr Werner W. Krieg,

Pfarrer in Massenheim