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Der Baum schreit, der Busch spricht …

»Nicht jeder hört alles«, sagt Regisseurin Milena Wichert (M.) über die Inszenierung. Mit dem technischen Leiter Patrick Kerner (l.) und Sounddesignerin Louisa Beck hat sie Shakespeares Sonette hör- und erlebbar gemacht. Mit speziellen Kopfhörern wird der Park rund um die Wasserburg zur Bühne: »Vorhang« auf für Shakespeares Sonette. Draußen erlebt jeder seine ganz eigene Inszenierung. Foto: Mag
»Nicht jeder hört alles«, sagt Regisseurin Milena Wichert (M.) über die Inszenierung. Mit dem technischen Leiter Patrick Kerner (l.) und Sounddesignerin Louisa Beck hat sie Shakespeares Sonette hör- und erlebbar gemacht. Mit speziellen Kopfhörern wird der Park rund um die Wasserburg zur Bühne: »Vorhang« auf für Shakespeares Sonette. Draußen erlebt jeder seine ganz eigene Inszenierung. Foto: Mag

Von Sabine Bornemann

Shakespeares Sonette: Ein Audio-Walk mit Licht- und Soundeffekten im abendlichen Park

Bad Vilbel. Schreie im Vilbeler Burgpark, Stimmen. Musik. Und dennoch ist um die Wasserburg kaum etwas zu hören. Das alles ist Teil einer besonderen Shakespeare-Inszenierung bei den Burgfestspielen: Kopfhörer und Neugierde – mehr braucht es nicht, um dem Stück der Theaterregisseurin Milena Wichert zu folgen. Das geht alleine, an der Luft, aber fast im Dunkeln.
Der Park wird zur Bühne
Der Baum schreit, der Busch spricht, und von der Wiese ist elektronische Musik zu hören. Dazu bunte Lichtinstallationen. Um das erleben zu können, braucht es spezielle Kopfhörer und ein bisschen Mut zum Entdecken. Milena Wichert hatte die außergewöhnliche Idee für eine besondere Shakespeare-Inszenierung: Der Park an der Wasserburg wird abends zur Bühne. Über spezielle Kopfhörer sind Shakespeares Sonette mit überraschenden Soundeffekten zu hören. Hinter allem stecken eine ausgefeilte Technik und viel Kreativität der Regisseurin – denn mit einem Audio-Guide, wie man es aus Museen kennt, hat die Inszenierung rein gar nichts zu tun.
Das Konzept könnte nicht besser in diese Zeit passen: Theater an der frischen Luft, mit viel Abstand oder sogar alleine. Dieses Konzept hatte sich Wichert überlegt, da es bei den anfänglichen Planungen für die aktuelle Saison der Burgfestspiele nicht sicher war, ob man den Theaterkeller überhaupt bespielen darf. Dort wollte Wichert eigentlich das Stück »Die weiße Rose« inszenieren. Doch dann kam mit Corona bekanntlich alles anders. Also nutze sie ihre eigene Affinität zur Technik für dieses neue Projekt.
auf die Ohren gezaubert
»Shakespeare in Bad Vilbel« ist ein Schwerpunkt der diesjährigen Burgfestspiel-Saison. Eine Ausstellung zu den bisherigen Inszenierungen ist im Kulturzentrum Alte Mühle zu sehen.
Wichert bringt nun Shakespeares Sonette auf die Ohren und in den Park. Dazu wurde der gesamte Bereich um die Wasserburg mit GPS-Daten versehen. An bestimmten Punkten oder auf Flächen ist dann Ungewöhnliches zu hören: Zitate aus den Sonetten, Musik, Stimmen. Je nachdem, wo der Besucher entlang läuft, erklingt Unterschiedliches. »Nicht jeder hört alles, das ist sehr individuell«, sagt Wichert. Und genau das ist gewollt. Stimmen, Töne, Musik legen sich übereinander, verschwimmen oder sind nur leise zu hören. Alles soll möglichst real klingen. Das gelingt dank sogenanntem Head Tracker, der misst, wann und wie sich der Kopf dreht. So sind die Klänge von rechts, links, oben oder unten oder von nah und fern zu hören. »Plötzlich schreit ein Busch, Stimmen flüstern aus einem Baum, dann kommt Musik von der Wiese«, beschreibt die Regisseurin den Audio-Walk. Zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler zitieren dazu Shakespeares Sonette. Alles auf Deutsch. Dazu verwendet Wichert eine Übersetzung von Christa Schuenke. »Diese Übersetzung ist sehr zugänglich, bleibt aber klassisch und enthält keine Jugendsprache.«
Modern soll die Inszenierung sein: Spezielle Lichtobjekte sind gebaut worden, die den Park erleuchten, denn zu erleben ist das Ganze nur abends.
Die Vielfalt von Liebe
Das passt thematisch zu Shakespeares Sonetten: Es geht um Tag und Nacht, um aufwühlende Liebe, um Trennung und Ablehnung. »Shakespeare widmet sich der Vielfalt von Liebe. Das Bild von Heterosexualität wird aufgebrochen«, sagt Wichert. Das in der Inszenierung aufzugreifen, ist ihr wichtig: »Wir wollen damit ein Zeichen setzen und hinterfragen, wie man Liebe öffentlich leben darf«, erklärt die Regisseurin. Das ist nicht romantisch gemeint: »In den Sonetten geht es um toxische Beziehungen – Liebesgeschichten wie Gift und Unkraut«. Ein Streichorchester hört man deshalb nicht, stattdessen überraschende Soundeffekte.«
Musik und Stimmen werden komponiert, so dass überall im Park etwas zu hören sein kann. »Es ist wie ein Computerspiel auf den Ohren«, meint Wichert. Es gibt keine Vorgaben, wie man durch den Park laufen muss. Für den Rundgang hat man zweieinhalb Stunden Zeit, bis spätestens 23.30 Uhr – dann müssen die Kopfhörer wieder am Kartenbüro abgegeben werden.
Ohne Smartphone
Obwohl sehr viel Technik hinter und in diesem Projekt steckt, sind für das Erleben der Inszenierung keine technischen Fähigkeiten erforderlich. Auch kein Smartphone. Einfach Kopfhörer aufsetzen, und los geht es. Am besten alleine und mit etwas Zeit im Gepäck.
Dann kann man hören, was Wichert mit ihrem Team inszeniert hat. Wenn es dann aus einem Baum ruft oder ein Busch schreit, einfach auf eine Bank setzen, Pause machen und sich umschauen. Bis irgendwo wieder eine Stimme zu hören ist, die einem Shakespeare auf die Ohren zaubert.

Mit Kopfhörern durch den Park – »Soll ich Dich einem Sommertag vergleichen?«

Theaterregisseurin Milena Wichert hat vor zwei Jahren George Orwells »1984« bei den Burgfestspielen inszeniert. Wegen der Pandemie hat sie zusammen mit einem Team und Kontakten zum Frankfurter Kollektiv »Hella Lux« nun für die Festspiele das Freiluft-Projekt mit den Sonetten von Shakespeare konzipiert. Die Kopfhörer und auch die gebauten Lichtobjekte sind Spezialanfertigungen. Die Kopfhörer werden vor jedem Termin ab 21 Uhr vom Kartenbüro im Klaus-Havenstein-Weg gegen ein Pfand verliehen und müssen auch dort wieder abgegeben werden.

Los geht es im Burgpark ab dem 28. August. Bis zum 8. September können Besucherinnen und Besucher barrierefrei den Burgpark abends erkunden. Die Inszenierung ist mit einem Zitat aus Shakespeares 18. Sonett überschrieben: »Soll ich Dich einem Sommertag vergleichen?« (»Shall I compare thee to a summer’s day?«).

Sprecher und Sprecherinnen sind Laura Lippmann, Simone Müller, Henning Mittwollen und Christian Manuel Oliveira. Das Sounddesign stammt von Louisa Beck, die technische Leitung hat Patrick Kerner, als Dramaturgin wirkte Angelika Zwack mit.

Hunderte von Lichtern illuminieren in den Abendstunden den Park um die Wasserburg. Ausgestattet mit Kopfhörern, die durch GPS Funktion den Standort ermitteln, bahnen sich die Zuhörenden ihren Pfad durch kunstvolle Licht- und Klanginstallationen. Kein Weg ist gleich, Stimmen wandern, werden leiser und lauter und führen zu Orten, die ein Anderer nie erfahren wird. Sound, Licht, Text und Umgebung verschmelzen zu einer Bühne, auf der die Zuhörenden zu Regisseuren ihres eigenen Abends werden.

Tickets für diesen abendlichen Spaziergang mit Shakespeares Sonetten im Ohr durch den illuminierten Burgpark sind ausschließlich im Kartenbüro Bad Vilbel, Klaus-Havenstein-Weg 1, Telefon (06101) 559455, erhältlich. Zum Ticketpreis von 10 Euro ist auch ein Pfand für den Kopfhörer zu hinterlassen. (koe/zlp)