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Die Hand reichen

Im Gemeindehaus von St. Michaelis lernen Flüchtlinge Deutsch. Die ehrenamtlichen Paten wechseln sich immer dabei ab- An diesem Tag unterrichtet Armin Holz. Foto: Dostalek
Im Gemeindehaus von St. Michaelis lernen Flüchtlinge Deutsch. Die ehrenamtlichen Paten wechseln sich immer dabei ab- An diesem Tag unterrichtet Armin Holz. Foto: Dostalek

Seit zehn Monaten leben zwischen vierzig und fünfzig Flüchtlinge in Karben. Es ist ein Leben im Wartestand, aber dank der Willkommenskultur in der Stadt und ehrenamtlicher Paten fühlen sie sich wohl. Sie hoffen auf eine Zukunft in Deutschland.

Karben. Dienstagvormittag in der Michaelis-Gemeinde: Zehn Köpfe neigen sich über ein Blatt Papier. Einer liest stockend Sätze vor wie „Peter ist der Onkel von Paul. Sabine ist die Oma von Jasmin“ und alle vergleichen und bessern aus. Ihr Deutschlehrer ist Armin Holz (71). Seit Anfang des Jahres gehört er zu fünf Paten, die dieser Flüchtlingsgruppe abwechselnd Sprachunterricht geben. Von Montag bis Freitag, je zweimal 45 Minuten.

Wenn Armin Holz Einsatztag hat, fängt er immer mit Vertrautem an – er fragt nach Datum, Wochentag und Monat und was sie gestern gemacht haben. Heute erzählt er von seiner Familie, verteilt dann ein Arbeitsblatt mit Fragen zu Verwandtschaftsbezeichnungen. „Wir haben kein Curriculum, sondern gehen vom Alltag aus“, erklärt der Naturwissenschaftler, der zuvor in der Erwachsenenbildung tätig war. Seine Schüler kommen aus Eritrea, Somalia und dem Iran. Die jungen Männer saugen gierig Wörter auf, schreiben mit, lesen, stellen Fragen. „Ich will Deutsch lernen, weil ich hier lebe“, sagt einer.

Doch die Bundesrepublik zahlt Deutschkurse erst, wenn das Asylverfahren positiv beschieden ist. Das ist in Augen von Integrationsstadtrat Philipp von Leonhardi (CDU) viel zu spät, denn wie sollen sich Flüchtlinge sprachlos in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden oder Chance auf Arbeit haben? „Sie müssen unbedingt die deutsche Sprache lernen“, sagt Leonhardi und ist froh, dass der Runde Tisch durch seine Paten dieses Angebot bisher machen kann. Der Deutschunterricht soll jetzt weiter ausgebaut werden für Flüchtlinge aus Serbien und für syrische Neuankömmlinge.

Zu Behörden begleiten

Dringend werden Ehrenamtliche gesucht, die ebenfalls dazu bereit sind. „Wenn man mit Alltagsdingen anfängt, mit Zahlen oder mit Einkaufen, ist Deutschunterricht gar nicht so schwer, “, sagt Patin Elke Stelz (53). Rund zwanzig Männer, Frauen und Kinder aus acht Nationen sind in der Max-Planck-Straße in zwei Wohnungen untergebracht. Stelz begleitet sie zum Arzt und hilft, den Patientenbogen auszufüllen. Sie ruft bei der Schule an und gibt Tipps, was für den Turnunterricht der Kinder einzupacken ist.

In der Max-Planck-Straße trifft Elke Stelz auf zwei der Flüchtlinge, die in der St. Michaelisgemeinde Deutsch lernen. Basim und Omid (Namen geändert, d. Red.) teilen sich ein Zimmer, Platz ist gerade je für ein Bett, einen Stuhl, einen Spind. Das ist Standard, denn mehr als sechs Quadratmeter pro Kopf stehen keinem Flüchtling zu. Gekocht wird in der gemeinsamen Küche, und die Wäsche trocknet auf einem Ständer im Flur. Die zwei Bewohner stammen aus dem Iran, sind Christen und wurden als solche verfolgt.

Arbeiten statt warten

„Es gibt hier sehr viele gute Menschen“, sagt Basim, der sich schon gut auf Deutsch ausdrückt. Er hat Arbeit, die ihm viel bedeutet, denn im Kirchgarten von St. Michaelis hat er Pflanzen gesetzt und Wege gerichtet. Ein Praktikum im Johanniter-Stift soll ihm nun helfen, beruflich Fuß zu fassen.

Omid (26) hat sich in Karben eingelebt. Der Sport ist für den Absolventen einer technischen Hochschule die große Brücke, denn er ist Basketballspieler, 1,97 m groß und hat in seiner Heimat in der ersten Liga gespielt. Jetzt trainiert er dreimal die Woche beim TV Okarben und fährt mit Vereinskameraden zu den Liga-Spielen. „Das ist super für mich“, sagt Omid. Traurig und still wird er auf die Frage nach seiner Familie.

Seine große Hoffnung ist, dass seine Mutter ihn besuchen kann. Basim (50) wünscht sich, Frau und Kinder nachholen zu können. Und noch einen Traum hat er, bei dem seine Augen aufleuchten. „Ich möchte mir Bienen kaufen“, sagt er, denn in seinem Dorf habe das dazu gehört. Für Elke Stelz ist immer wieder bewundernswert, welchen Lebensmut die Flüchtlinge aufbringen. „Wir sehen sie oft ganz fröhlich, was sie in ihrer Heimat und auf der Flucht durchgemacht haben, können wir aber nur erahnen“, sagt sie.