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Die kleine Meerforelle

Glasklar ist das Wasser im Erlenbach. Reglos steht eine kleine Meerforelle (Salmo trutta) in der Strömung. Sie muss sich an ihre neue Umgebung, den Erlenbach, gewöhnen und zur Ruhe kommen. Hinter und vor ihr und rund 22000 Artgenossen liegen aufregende Tage.

Bad Vilbel. Vor einem halben Jahr hat die kleine Meerforelle im Lachszentrum an der Haspetalsperre mit allen anderen das Licht der Welt erblickt. Bei ihren Eltern handelt es sich um sogenannte Rückkehrer, das heißt Wildfänge aus der Wupper. Dort läuft seit vier Jahren ein erfolgreiches Meerforellenprojekt.

Die kleine Meerforelle und ihre Artgenossen haben seit der Geburt stetig an Größe und Gewicht zugelegt und gut versorgt bis zum 3. Oktober ein beschauliches Dasein im Lachszentrum geführt. Am „Tag der Deutschen Einheit“ wurden sie gefangen, betäubt und bekamen von Anglern aus den Angelsportvereinen (ASV) Bad Vilbel, Nieder-Erlenbach, Nieder-Florstadt, der Notgemeinschaft Usa und des Fischereivereins Bergisches Land, mit einer chirurgischen Schere ihre Fettflosse abgeschnitten. Bei dieser Flosse handelt es sich um einen nicht mehr nachwachsenden, kleinen, nicht durchbluteten Hautlappen zwischen Rücken- und Schwanzflosse. Nach der OP reiste sie mit ihren Artgenossen in einem Fischtransporter in die Wetterau. Und von dort weiter in großen Bassins nach Bad Vilbel und Ober-Mörlen, um von Anglern aus Eimern in ihre neue Kinderstube, das Gewässersystem der Nidda, eingesetzt zu werden.

Am Samstag, 6. Oktober, war es dann soweit. Angler aus Bad Vilbel und Nieder-Erlenbach, die wie die zuvor Genannten die Interessengemeinschaft (IG) Nidda bilden, trafen sich, um die winzigen Meerforellen in heimische Gewässer zu entlassen. Verstärkt wurden Angler wie Marco Weller, 1. Vorsitzender der IG Nidda e.V. und Mitglied im ASV Bad Vilbel, und Norbert Emde, 1. Vorsitzender des ASV Nieder-Erlenbach, durch Dr. Jörg Schneider, einen der „hessischen Lachspäpste“ von der Bürogemeinschaft für fisch- und gewässerökologische Studien (BFS) Frankfurt am Main, dessen Sohn Nick (8), Gewässerökologe und Angler Gottfried Lehr, dem Vilbeler ASV-Jugendwart Sven Wilmsmann und fünf jungen Nachwuchsanglern.

„Usa und Erlenbach sind durch ihre Kiesbänke ideale Gewässer für die Vermehrung von Forellen“, berichtet Gottfried Lehr. Hier laichen die Weibchen im Kies ihre Eier ab und die Männchen besamen das Laichsubstrat. Für den Meerforellennachwuchs hat die Markierung vom 3. Oktober einen großen Vorteil. In zwei bis drei Jahren haben sie eine Größe von 40 bis 90 Zentimetern erreicht. Durch die fehlende Fettflosse sind sie auch dann noch für Angler als Exemplare aus der Nidda oder ihren Vorgewässern Usa, Urselbach oder Erlenbach erkennbar.

Fische und Fernweh

Im Frühjahr, wenn sich die kleine Meerforelle mit Insektenlarven, Bachflohkrebsen, Bodenorganismen und Drift gut genährt hat, packt sie wie alle Wanderfische das große Fernweh. Voller Reise- und Abenteuerlust schwimmt sie mit ihren Freunden dann vom Erlenbach in die Nidda, von dort durch den Main und Rhein in die ferne Nordsee, wo sie so lange bleibt, bis sie erwachsen ist. Zum Laichen kehrt die heute noch kleine Meerforelle als stattliches Exemplar nicht nur ein-, sondern mehrmals in ihr Abwanderungsgewässer, den Erlenbach, zurück.

Die Meerforelle gehört ebenso wie der Lachs zu den anadromen Wanderfischen, die im Meer leben und zum Laichen zurück in ihre Kinderstuben ins Süßwasser ziehen. Im Gegensatz zur Bachforelle ist die Meerforelle in Hessen durch ein ganzjähriges Fangverbot geschützt.

Viel größer als die Gefahr, an einem Angelhaken ihr Leben auszuhauchen, ist die, in einer der Staustufen und Wasserkraftwerke zu verenden. „Leider wird eine große Zahl der abwandernden Meerforellen die Turbinen in den Wasserkraftwerken nicht überleben“, klagt Marco Weller. Auch die Rückwanderung sei nicht leicht, da die Fischtreppen, die die Wanderung flussauf ermöglichen sollen, „meist nur schlecht oder gar nicht funktionieren“. Die Markierung der Fische ermöglicht eine Erfolgskontrolle des seit 2009 an der Nidda und ihren Zuläufen durchgeführten Meerforellenprojektes.

Die 6000 Euro für das Vorgutachten hatten Hassia Mineralquellen sowie die Städte Bad Vilbel und Frankfurt aufgebracht. Die wissenschaftliche Begleitung und Betreuung der Wiederansiedlung der durch Flussbegradigung und Wasserverschmutzung ausgerotteten Fischart durch Dr. Jörg Schneider finanziert das Regierungspräsidium Darmstadt. Den 20000 Euro teuren Fischbesatz mit Meerforellen zahlte der Wetteraukreis.

Jetzt liegt es an den Betreibern der Wasserkraftwerke im Main und Rhein, ihren Beitrag zu leisten und den Meerforellen, wie anderen Wanderfischarten den sehr gefährlichen und beschwerlichen Wiederaufstieg in die Nidda durch geeignete Maßnahmen zu ermöglichen, damit die kleine Meerforelle aus dem Erlenbach gesund wieder zurück in die Wetterau schwimmen und selbst für Nachkommen sorgen kann.