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Ein Aufbruch zu neuen Ufern

Nachfolgendes Interview über die Entwicklung Bad Vilbels mit Dr. Hansgeorg Jehner, gebürtiger Vilbeler, von Beruf Rechtsanwalt, aus Überzeugung Naturfreund und Motor der Niddarenaturierung, Umweltpreisträger des Wetteraukreises und Großinvestor in Bad Vilbels Stadtmitte, führte Horst Samson, Chefredakteur des „Bad Vilbeler Anzeigers“:

BVA: „Neue Mitte“, Golfclub, Nidda-Renaturierung, Gronauer Hof und Europäische Schule – nichts wäre ohne Ihren außerordentlichen Einsatz in dieser Art und in dieser Stadt realisierbar gewesen. Damit haben Sie entschieden mit dazu beigetragen, dass Ihre Heimatstadt im Kern ein neues Gesicht bekommen hat. Wie ist der „Schönheitschirurg“ mit dem augenblicklichen Zustand der Patientin zufrieden?

Dr. Jehner: Das waren alles keine kosmetischen Schönheitsoperationen, sondern sehr zweckgerichtete Maßnahmen. Die Schönheit einer Stadt zeigt sich zudem darin, wie wohl sich die Menschen in ihr fühlen. Und hierfür kommt es weniger auf irgendwelche Bauten an, die dafür nur einen Rahmen geben können; wenn er schön ist – umso besser. Entscheidend sind vielmehr gute Arbeitsplätze, Kindergärten und Schulen, eine funktionierende Infrastruktur, ein reiches Vereinsleben, Sicherheit, eine funktionierende Stadtverwaltung, niedrige Steuern und vieles mehr in diese Richtung. Und daran arbeiten viele in Bad Vilbel. Ich sehe Bad Vilbel durchaus auf einem guten Weg.

Stadt mit Herz

BVA: Bad Vilbels Aufhübschung ist ja nicht nur ein bejubelter Freudentaumel, sondern vor allem auch eine gehörige Nervensache. Es gibt doch ganz andere, einfachere und effektivere Wege der Kapitalanlage als in eine Provinzstadt wie Bad Vilbel zu investieren. Was also treibt Sie an, sich für diese Stadt so ungewöhnlich zu engagieren?

Dr. Jehner: Diese Frage sollten Sie beispielsweise Ehrenstadtrat Klaus Minkel stellen, der sich sein Leben lang für unsere Stadt zerrissen hat und dies seit vier Jahren ohne einen Cent Entlohnung 12 Stunden am Tag weiter tut. Sie sollten die vielen Vilbeler Vereinsvorstände fragen, die ihre Freizeit dem Wohl ihrer Vereine widmen. Mit anderen Worten: Manches ist schwer zu erklären. Wollte man es auf sich selbst bezogen gleichwohl versuchen, geriete man schnell in die Versuchung, sich zu beweihräuchern. Das lassen wir lieber.

BVA: Die Neue Mitte ist modern, schön und findet sehr viel Zustimmung. Das war nicht immer so.

Dr. Jehner: Es ist über alle Zeiten hinweg völlig normal, dass größere innenstädtische Projekte kritisch diskutiert werden. Warum sollte Bad Vilbel da eine Ausnahme sein. Im Übrigen sind diese Diskussionen nicht selten auch nützlich. So wurde etwa die Anregung, die Brücke etwas flussaufwärts zu verschieben, als eine wertvolle Verbesserung übernommen.

BVA: Wieso fürchten sich viele Menschen vor Veränderungen, vor Neuem?

Dr. Jehner: Das ist auch etwas völlig Normales, was überall und nicht zuletzt für mich selbst gilt. Während seiner Pubertät stellt der Mensch alles in Frage. In den Jahren danach geht er dazu über, die ihn umgebende Welt aktiv zu verändern und so zu gestalten, wie er es für richtig hält. Ab Mitte vierzig gerät er dann nicht selten in Panik, wenn etwas Neues auf ihn zukommt, wenn sich in seinem gewohnten Umfeld etwas zu verändern droht; es sei denn, er verfolgt die Veränderung selbst. Das war schon immer so und wird auch künftig so sein.

BVA: Stimmt es, dass die ursprünglich kommunalpolitisch beabsichtigten Änderungen an dieser Stelle Sie auf die Idee gebracht haben, den Münchner Architekten Fred Angerer einzuladen, um gemeinsam mit ihm auszuloten, wie man diese Stadt zukunftstauglich umgestalten könnte?

Dr. Jehner: Nein, ich bin mir sicher, dass sich unsere Vilbeler Kommunalpolitiker über alle Parteigrenzen hinweg bewusst sind, dass sie keine ausgewiesenen Städteplaner sind. Ich bin es auch nicht. Mich bewegte vielmehr folgende Überlegung: Die Stadtmitte von Bad Vilbel ist aus der Straße eines Reihendorfes entstanden. Ihre Lage zwischen Niederberg und Nidda mit dem Kurpark auf der rechten Fluss-Seite, das Ganze noch in einem Quellenschutzgebiet, ist städtebaulich extrem schwierig. Die Verkehrsführung ist praktisch nicht änderbar. Ich hatte es Prof. Angerer als einem der wenigen zugetraut, dieser Situation gerecht zu werden.

BVA: Was würde Prof. Angerer, der 2010 leider verstorben ist, wohl am besten gefallen, könnte er heute seinen Entwurf sehen?

Dr. Jehner: Die Einbindung von Stadtbibliothek und Niddaplatz in das Bild der renaturierten Nidda und in den Kurpark – das würde ihm vielleicht besonders gefallen; wobei man sagen muss, richtig schön wird es erst, wenn in einigen Jahren die Ufer mit Büschen und Weiden wieder bewachsen sind.

BVA: Bad Vilbel schien eine zeitlang durch leerstehende Läden dem glanzlosen Ende seiner urbanen Entwicklung zuzudriften. Welche Hoffnungen verbinden Sie und die Humanistische Stiftung mit den Geschäften/Läden? Wird die „Neue Mitte“ die Talfahrt bremsen und dem Leben in Bad Vilbel eine neue Qualität geben?

Dr. Jehner: Die schon länger ortsansässigen Geschäfte bieten zusammen mit den neuen Geschäften gute Voraussetzungen für eine Belebung des innerstädtischen Handels und Wandels. Entscheidend für urbanes Leben sind jedoch die Bürger selbst. Die Stadtverwaltung und die zahlreichen Vereine in unserer Stadt können freilich hilfreiche Beiträge dazu leisten.

BVA: Und was bedeutet Ihnen die Stadtbibliothek am zentralen Ort, wo sie den Vilbelern noch die Nidda zu Füßen legen?

Dr. Jehner: Eine Stadtbibliothek ist nicht nur ein Ort für Unterhaltung und Vergnügen, sondern auch für nützliches Wissen und für Fortbildung. All dies gehört zusammen. Eine Stadtbibliothek vermittelt Grundlagen unserer Kultur und für unseren Wohlstand, weshalb ihr in einer Stadt wie der unseren der schönste und herausragendste Platz gebührt.

BVA: Die „Neue Mitte“ ist jetzt da und Sie haben mit Depot, Esprit, Gerry Weber, Görtz, H&M, Marc O’Polo und der Drogerie Müller zugkräftige Mieter und Frequenzbringer nach Vilbel gebracht. Blüht die Stadt jetzt auf oder gehört dazu noch mehr als nur ein guter Start?

Dr. Jehner: Mit attraktiven Geschäften allein kann sich – wie gesagt – kein urbanes Leben entwickeln. Ein Blick auf die öden außerstädtischen Einkaufszentren bestätigt dies. Zum städtischen Leben gehört, dass man sich trifft, miteinander redet, zusammen isst und trinkt, schimpft und lacht. Der Nidda-Platz soll zu alledem zusammen mit den schon vorhandenen Einrichtungen der Innenstadt einen attraktiven Raum bieten; mit der Gaststätte und den Sitzstufen am Flussufer, der Eisdiele am Platzanfang, der Stadtbibliothek und dem Café auf der Brücke, mit den Wochenmärkten, mit Musik, mit Veranstaltungen etcetera, etcetera.

BVA: Wird es Ihnen mit der Neuen Mitte so gehen wie mit dem Golfclub? Erst viele Einwände und Skepsis wegen Gewässerschutz, und heute Bewunderung für ein herrliches Stück Natur, in der auch der Mensch einen festen Platz hat?

Dr. Jehner: Es wäre schon schön, wenn die Besucher unserer Stadt den Nidda-Platz und die Stadtbücherei bestaunen würden. Wir Vilbeler werden uns ja schnell an das Neue gewöhnt haben. Jegliche Bewunderung gebührt jedoch den Architekten Bernhard Demmel und Gerald Hadler, die den Entwurf von Prof. Angerer ausgearbeitet und umgesetzt haben, von den vielen Fachingenieuren und am Bau Tätigen ganz zu schweigen.

Schönheit der Flüsse

BVA: Die Nidda ist lang, haben sie mal betont, sich davon aber nicht erschrecken lassen. Denn man muss noch hinzufügen: Und die Nidda war begradigt, öde, ziemlich leblos und beeindruckend unansehnlich – sie bot ein tristes Bild. Sie floss zwar durch diese Stadt, nur hat das jahrzehntelang kaum jemand bemerkt. Warum haben Sie sich für die Aufwertung dieses Flüsschens eingesetzt?

Dr. Jehner: Vor rund 280 Jahren setzte in Deutschland eine Entwicklung ein, die zu einer völligen Veränderung unserer Landschaften führte. Die Flüsse wurden begradigt und durch Dämme eingeschnürt. Die Nidda war einmal doppelt so lang wie heute. Riesige Feuchtflächen wurden durch die Flussbegradigungen für den Ackerbau gewonnen und dadurch der seinerzeit allgegenwärtig drohende Hunger gemildert. Der damit einhergehende Hochwasserschutz war ein Segen. Wir würden weite Teile Deutschlands nicht wiedererkennen, wenn wir sie heute in ihrem Zustand um 1730 herum bereisen könnten. Zwei Dinge gingen jedoch durch die Flussbegradigungen verloren: schon Friedrich Schiller beklagt die Schönheit der Flüsse und der sie begleitenden Landschaften. Und seit den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst vornehmlich von den Grünen ins Bewusstsein gerückt: Die vormals reiche Pflanzen- und Tierwelt verarmte in erschreckender Weise. Übertrieben formuliert, der Mensch drohte, allein übrig zu bleiben. All dies kann man in dem vorzüglichen Buch von David Blackbourn „Die Eroberung der Natur“ nachlesen. Die Nidda fließt vor unserer Haustür. Was lag also näher, als unter Wahrung des Hochwasserschutzes gerade dort der heimischen Pflanzen- und Tierwelt wieder Lebensraum einzuräumen, so dass sich die verloren gegangene Schönheit einer Flusslandschaft vor unseren Augen wieder entwickeln kann. Für die Renaturierung der Nidda in Bad Vilbel sprach zudem und nicht zuletzt, dass die Verwaltung unserer Stadt zusammen mit dem heutigen hessischen Justizminister Jörg-Uwe Hahn dieses Projekt in vorzüglicher Weise unterstützt und gefördert hat.

BVA: Sie sprachen mal in einem Bericht dieser Zeitung von einem „blaugrünen Klassenzimmer“. Was ist damit gemeint?

Dr. Jehner: Das ist ein Projekt, das von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt am Main geplant ist und wozu die Gerty-Strohm-Stiftung auch beitragen will. Unsere Kinder wachsen überwiegend naturfern auf. In unserer Stadtmitte – aber nicht nur dort – sollen sie wenigstens ein bisschen vom Leben der Tiere und Pflanzen in dem ansatzweise naturnah zurückgebauten (blau für Wasser) Flussbett der Nidda und an ihrem (grünen) Ufer sehen können. Besonders interessant werden Beobachtungsstationen direkt am renaturierten Fluss sein, von denen die erste im kommenden Jahr an der Grenze zwischen Klein-Karben und Dortelweil gebaut werden soll.

BVA: Mit der Gerty-Strohm-Stiftung haben Sie als Vorstand dafür gesorgt, dass der Nidda buchstäblich neues Leben „eingehaucht“ werden konnte und dafür einhelliges Lob erfahren. Was haben Sie noch alles an mustergültigen Ökoprojekten vor?

Dr. Jehner: Gerade bei Natur- und Tierschutz – Maßnahmen darf Großprojekten in der Öffentlichkeit kein zu hohes Gewicht beigemessen werden. Die verdienstvolle Arbeit der vielen ehrenamtlichen Helfer im Natur- und Tierschutz, die ohne hinreichende Mittel immer wieder ganz Vorzügliches leisten, darf dadurch nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Unbeschadet dessen: Ab dem Spätsommer dieses Jahres soll die Nidda von der Gemarkungsgrenze Dortelweil bis nach Klein-Karben renaturiert werden.

BVA: Sie haben eine sehr erfolgreiche berufliche Karriere als Rechtsanwalt, aber sie stammen von einem Dortelweiler Bauernhof, wo sie mit ihren Brüdern Gerhard und Otto aufwuchsen. Hat diese bäuerliche Kindheit Ihre Ehrfurcht für die Natur geprägt oder ist Ihre Naturverbundenheit eine spätere Erkenntnis des gereiften Juristen?

Dr. Jehner: Meiner bäuerlichen Herkunft verdanke ich wie jeder, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, unendlich viel. Jeder Landwirt ist der Natur verbunden. Das ist eine der unverzichtbaren wesentlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufsausübung. Themen wie aktiver Naturschutz oder Flussrenaturierung sind indessen andere Felder, wie sich Naturverbundenheit äußern kann. Ich glaube nicht, dass Juristerei und ein gereiftes Alter den Zugang zu derartiger Naturverbundenheit eröffnen. Eher sind es die jedermann mögliche staunende Einsicht in die unglaubliche Vielfalt, in der sich Leben entwickeln kann, und der daraus rührende Respekt davor.

Schule als Währung

BVA: Nach „Neuer Mitte“ und Mediathek ließen Sie sich auch noch als Retter der „Europäischen Schule Rhein Main“ in Dortelweil in die „Pflicht“ nehmen. Ist eine solche Institution für Bad Vilbel denn überhaupt von Bedeutung? Und wenn ja, worin besteht die?

Dr. Jehner: Es steht außer allem Zweifel: Das Konzept der weltweit insgesamt nur 15 Europäischen Schulen ist herausragend. Die objektiven Pisa-Studien und die Untersuchungen der EU belegen dies mit großer Klarheit. Den Schülern werden zusätzlich zu dem Bildungspotential unserer gewiss nicht schlechten Gymnasien ganz erhebliche weitere Vorteile geboten. Die Verdichtung der besten schulischen Erfahrungen Europas in den Europäischen Schulen und eine handverlesene internationale Lehrerschaft sind nur zwei dieser Werte. Eine Schule mit solchen Eigenschaften am Ort zu haben, erhöht nicht zuletzt die Attraktivität Bad Vilbels als Wohnort und als Standort für die Neuansiedlung von Unternehmen, mit denen nicht selten wertvolle Arbeitsplätze zu uns kommen.

BVA: Herr Dr. Jehner, Sie sollen ein Anhänger des „Lehrsatzes“ sein, dass alles mit allem zusammenhängt. Was veranlasst Sie, an diese eigentlich vom Buddhismus entlehnte Feststellung zu glauben?

Dr. Jehner: Nein – da wurden Sie ganz offensichtlich unzutreffend informiert. Ich halte es eher mit den Grundsätzen der Bergpredigt.

BVA: Herr Dr. Jehner, danke für dieses Gespräch!