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Ein jegliches hat seine Zeit

Wann wird es endlich richtig Sommer? Natürlich wissen wir es alle, dass die Sommerzeit kalendarisch schon längst angebrochen ist. Über einen Monat ist es schon her. Ob mit vielen oder wenigen Sonnentagen, wir haben Sommer! Es ist in der Mittsommernacht geschehen: Da begegnete der Frühling dem Sommer. Der Tag war so lang wie sonst nie im Jahr und die Nacht so kurz wie sonst nie. Das tat uns gut. Wir freuten uns einfach an dem vielen Licht. Doch gleichzeitig mussten wir uns der Tatsache fügen, dass von nun an im Jahreslauf die Nächte auch wieder langsam aber sicher länger werden. Somit werden auch die Tage wieder kürzer. Das macht ein wenig traurig.

So ist das. Was sagt es uns? Unser unterschiedliches Empfinden in der Zeit macht unser Leben wesentlich aus. Wir sind nun mal keine Roboter, die ohne Zeitempfinden, dann aber auch ohne Glück- und Leidempfinden leben. Die Bibel drückt diese Erfahrung des Menschseins wunderbar einfach und zeitlos aus, wenn es im Buch 3. Kapitel des Predigers Salomo heißt: „Ein jegliches hat seine Zeit: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bebauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit“.

Und nach einer weiteren Aufreihung ganz wechselhafter Erfahrungen kommt eine Aussage, die mich besonders anspricht: „Er (Gott) hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.“ (Vers 11). Die natürliche Freude, die wir am Frühling und Sommer haben, die schönen Erfahrungen, die wir mit viel Licht, mit dem Wachstum auf den Feldern und in den bunten Gärten, mit den Bewegungsmöglichkeiten im Freien haben, dürfen und sollen wir von Herzen auskosten. Aber verlieren sollen wir uns nicht in dem Wunsch und der Erwartung, dass es immer so bleiben müsste. Alles Äußere, dazu gehören die Jahreszeiten und alles Materielle, dazu gehört auch unser Körper, unterliegen dem Vergehen. Was macht uns bei dieser Betrachtung traurig? Es hat mit dem zu tun, was der Prediger zum Wesen des Menschseins gesagt hat: „Auch hat Gott die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.“

Religiöse Sehnsucht ist letztlich Sehnsucht nach Liebe, nach unbedingter Annahme und Geborgenheit. Das wird niemals aussterben, weil Gott dieses Fragen und Suchen tief in uns eingepflanzt hat. Ewigkeit ist also keine ins Unendliche verlängerte Zeit, sondern das Ruhen in Gott. Angelus Silesius hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Mensch, werde wesentlich!“ Und von einem mir unbekannten jüdischen Weisheitslehrer stammt der Satz: „Gott will wohnen, wo du ihn einlässt“. Das ist wahrlich eine schöne wie zuweilen auch recht schwere Aufgabe. Sich ihr ganz zu stellen, verleiht aber unserem Leben erst die rechte Tiefe und einen letzten Sinn.

Pfarrer Matthias Gärtner

Ev. Kirchengemeinde Dortelweil