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Ein »Reisender Gottes«

Freut sich auf seine neue Aufgabe: Pater George Chittilappilly im Hof des Pfarrzentrums St. Bonifatius. Foto: Schenk
Freut sich auf seine neue Aufgabe: Pater George Chittilappilly im Hof des Pfarrzentrums St. Bonifatius. Foto: Schenk

Karben. Seit über 20 Jahren ist Pater George sozusagen ein Reisender Gottes. Ursprünglich kommt er aus dem Land, wo der Pfeffer wächst. Kerala im Südwesten Indiens nennt er seine Heimat. Jetzt hat ihn sein Weg nach Karben geführt. Und das könnte sich als Glücksfall erweisen.
Aufgewachsen ist der Geistliche mit sieben Geschwistern tatsächlich in der Nähe von riesigen Pfefferplantagen. Von seinen drei Schwestern haben sich zwei dem Klosterleben verschrieben. Ein Bruder ist Mitglied im Karmeliterorden und seit 29 Jahren katholischer Priester – genau wie er selbst. »Wir gingen am gleichen Tag zur Priesterweihe«, erzählt Pater George, dessen Nachnamen Chittilappilly manche Zungen erst ein paar Mal üben müssen. Einfacher sei sowieso Pater George, damit habe er überhaupt kein Problem.
Seit Anfang Januar führt er das Seelsorgeramt in der katholischen Pfarrgruppe Karben aus. Und das ist genau die Tätigkeit, die er sich gewünscht hatte. 13 harte und formende Jahre liegen hinter ihm. Von 2007 bis 2020 begleitete er leidende und sterbende Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Er ging mit ihnen bis zu jener Grenze, deren andere Seite niemand kennt. Seine Wirkungsstätten waren die Palliativstationen in der Universitätsklinik und im St. Josefs-Krankenhaus in Gießen. »Ich habe in dieser langen Zeit viel über die Grenzen des Lebens gelernt«, sagt der 61-Jährige. »Natürlich war es nicht leicht, täglich das Leid mitansehen zu müssen. Aber mein Dienst in den Krankenhäusern hat mir auch Reife und Lebenserfahrung gegeben.«
Zum Glauben
zurückfinden

Fast hat man den Eindruck, als ob diese Dinge in seiner ruhig wirkenden Stimme mitschwingen. Man kann sich ihn jedenfalls sehr gut am Bett eines kranken Menschen vorstellen. Oft hätten die Patienten seine Gegenwart nicht gewünscht oder seien sich am Anfang nicht sicher gewesen. »Vor allem die jüngeren«, erinnert sich Pater George. »Schwerkranke ältere Menschen sind oft in ihrem Glauben gestärkter oder finden am Ende ihres Lebens zu ihm zurück. Mit einem festen Glaubensfundament können sich die Leute eher auf den Tod vorbereiten. Darum verleben sie ihre letzten Tage in einer größeren Gelassenheit.«
Doch auch die Jüngeren habe er gewinnen können. Durch Zuhören und Trostspenden. Am Beginn eines Arbeitstages sei sein erster Gang ins Schwesternzimmer gewesen. »Ich habe gefragt, in welchem Zimmer zu diesem Zeitpunkt die einsamste, kränkste und traurigste Person liegt. Dorthin bin ich dann zuerst hingegangen. Manchmal haben mich Familienmitglieder nach dem Tod eines Angehörigen gefragt, ob ich auch dessen Beerdigung übernehmen möchte.« Normalerweise zieht der Karmeliterorden seine Krankenhausgeistlichen nach zehn Jahren ab; Pater George übte dieses Amt drei Jahre länger aus. Im vergangenen Jahr kam zu seiner schweren Arbeit auch noch der Tod der Mutter hinzu. Sie starb im fernen Indien, ohne dass er sie noch einmal besuchen konnte. Die Corona-Pandemie hatte ein letztes Wiedersehen unmöglich gemacht. Danach begann für ihn eine Zeit der Veränderungen, die er rückblickend als »große Fügung« bezeichnet. Die katholische Pfarrgruppe in Karben dürfte damit nicht unglücklich sein. Er schildert auch die Unterschiede zwischen deutschem und indischem Katholizismus. In Indien gibt es nur etwa drei Prozent Christen, von denen gut die Hälfte Katholiken sind. Im Bundesstaat Kerala mit seinen 33 Millionen Einwohnern ist der überwiegende Teil christlich.
»Im Grund genommen ist das christliche Fundament mit dem in Deutschland vergleichbar, aber in sich orientalisch geprägt. In Indien sieht man in den Gemeinden auch keine Frauen. Hier in Deutschland kann man für ein lebendiges Gemeindeleben gar nicht auf sie verzichten. Insgesamt ist die Kirche hier offener und freier. Die Gläubigen dürfen Kritik äußern und Fehler ansprechen.«
Auf die zunehmenden Kirchenaustritte angesprochen, mahnt er vor allem ein vorbildliches Leben der Priester an. Sie seien zuerst dazu angehalten, niveauvoll zu leben. »Christus sollte unser aller Vorbild sein, denn bei ihm sind die Leute geblieben.« Von Jürgen Schenk