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Erinnerungen aus der Schachtel – Das Wort zum Sonntag

Neulich habe ich einen alten Karton „ausgemistet“ und die Sachen weggeworfen, die ich nicht mehr brauche. Ich kann das ganz gut, aber ich brauche Zeit dafür. Ich muss nicht nur den Karton ausräumen und das Überflüssige wegwerfen. Ich brauche die Zeit, weil bei vielen Dingen meine Erinnerungen hochkommen, und ich mich an die dazu gehörenden Erlebnisse erinnere.

„Diese kitschige Puppe hat mir die erste Klasse zum Abschied geschenkt, der Clown stammt aus dem ersten gemeinsamen Urlaub in Venedig, mit diesem Spiel habe ich damals in der Konfirmandengruppe eine richtige Bauchlandung erlebt, und…..“ – so geht es weiter. Manche Gegenstände bekommen ihr Eigenleben. Andere nicht und die werfe ich dann eher weg.

Besonders viele Erinnerungen kommen den meisten Menschenwahrscheinlich bei alten Fotos. Dann lacht man über die merkwürdigen Frisuren oder die großen Brillen, wird ein bisschen traurig, was schon alles vergangen ist und staunt, was man alles erlebt hat.

„Wir leben jetzt von den Erinnerungen. Viel Neues kommt nicht mehr“, sagt mir letztens eine alte Frau und sie sagte es fröhlich und zufrieden. Sie hat ihre Erinnerungen wie einen kostbaren Schatz in sich aufbewahrt. Immer mal wieder und besonders, wenn es ihr gesundheitlich schlecht ging, holt sie diesen Erinnerungsschatz hervor. Sie schaut sich alte Bilder an, stöbert in aufbewahrten Postkarten oder redet mit ihrem Mann über alte Zeiten. Ihre Erinnerungen hat sie immer bei sich, kann sie hervorholen, wenn sie mag, und sich daran freuen. „Ich bin so froh, dass wir das alles nicht aufgehoben haben. So vieles davon ginge längst nicht mehr. Aber wir haben es ja auch schon erlebt“, endete die alte Dame sehr zufrieden. Es war in der Tat klug von ihr, damals zu machen, was ihnen beiden wichtig war. Es waren, von außen betrachtet, gar keine großartigen Erlebnisse oder Abenteuer. Aber ihr war es wichtig, das gesehen oder erlebt zu haben. Und nun hatte sie immer noch die Erinnerungen daran, anstatt eine Sammlung von verpassten Möglichkeiten.

Viel später bin ich auf die Bibelstelle gestoßen, nach der sie (wahrscheinlich unbewusst) ihr Leben geführt hat. Im Buch des Predigers (Kapitel 11, Verse 4-6) steht: Wer immer nach dem Wind sieht und auf das passende Wetter wartet, der kommt weder zum Säen noch zum Ernten. Du weißt nicht, wann der Wind seine Richtung ändert. Arbeite am Morgen oder am Abend, ganz wie du willst; denn du kannst nicht voraussehen, welches von beiden Erfolg bringt – vielleicht sogar beides!“

Wer immer darauf wartet, Zeit zu haben, Geld übrig zu haben, die passende Begleitung zu finden, alle Arbeit erledigt zu haben, um dann endlich zu machen, was er eigentlich schon immer tun wollte – der wartet vielleicht vergeblich und gewiss zu lange. Jetzt müssen wir leben, was uns wichtig ist. Dann können wir es im Moment genießen und die Erinnerungen daran für die Zukunft mitnehmen.

Viel Freude dabei.

Ihre Pfarrerin Ulrike Mey,

Evangelische Christuskirche

Bad Vilbel