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Es war einmal ein Turm

Ein gewaltiger Knall besiegelte das Ende der Massenheimer Ziegeleigeschichte

Die Geschichte der Zivilisation ist geprägt durch den Kreislauf aus Zerstörung und Aufbau, Aufbau und Zerstörung. Wohl auch deswegen brandete am Samstag um 13 Uhr und ein paar Sekunden Applaus auf, als ein Bad Vilbeler Wahrzeichen nach einem großen Knall für immer von der Bildfläche verschwand. Der Kaminturm hat Platz geschaffen für ein neues Wohngebiet.

Bad Vilbel. Für den Inhaber der Massenheimer Ziegelei, Michael Strauch, ist der Samstagmittag „bewegend im doppelten Sinne“. Denn nicht nur ist der 60 Meter hohe Kamin der Ziegelei nach großem Knall wie geplant zur Seite gefallen, auch für die Familie Strauch markiert dieser kurze Moment das Ende einer über 80-jährigen Produktionsgeschichte in Massenheim.

„Manchmal muss man etwas zerstören, um Neues zu schaffen“, sagt er dann auch bei der Besichtigung des Trümmerfeldes nach der Explosion. Und bereits vor der Sprengung erläutert er den vielen geladenen Gästen die Pläne für das neue Wohngebiet Ziegelei mit rund 90 Häusern. Es ist ihm anzumerken, dass er im Beisein seines Vaters Fritz Strauch – dem Bauherren des 1972/1973 errichteten Turms – nicht leichten Herzens diese neue Epoche in der Familiengeschichte einleitet. „42 Jahre hat der Turm über der Stadt gewacht. Nun wird die Ziegelei Geschichte, aber eine neue Ära beginnt.“

Eine neue Ära

Es habe viele Ideen bei der Entwicklung des neuen Baugebietes gegeben, darunter auch jene, den Turm doch auch im neuen Wohngebiet zu erhalten. „Wir haben lange nachgedacht, uns aber dagegen entschieden. Denn der Turm passt nicht in das Wohngebiet, auch wenn nun manche Massenheimer vielleicht ein Navi brauchen, wenn sie etwa vom Vilbeler Markt zurück nach Hause wollen“, gewinnt er dem Ganzen dann doch etwas Amüsantes ab. Ohne Funktion verliere der Turm seine Würde, „aber wir werden ihn in guter Erinnerung behalten.“ Mit dem Wohnprojekt stoße die Familie eines der größten Vorhaben in der Geschichte des Unternehmens an. Bis 2018, schätzt Strauch, werden die Häuser gebaut sein, „die Baufirmen dafür haben wir mit der Pinzette ausgewählt.“ In den vergangenen elf Monaten sei dafür das Werk demontiert worden, ältere Maschinen wurden nach Aserbaidschan verkauft, der Rest nach Bayern geschafft, wo für das Unternehmen Keraform nun eine neue Produktion angelaufen ist.

Dann sind Sprengmeister Robert Zeller, sein Sohn Simon und seine Mitarbeiter Andreas Walther und Hans-Jürgen Rieß an der Reihe. Um 12.47 Uhr erklingt das erste Signal, kurz vor 13 Uhr das zweite Horn. Von Fünf wird heruntergezählt. Tausende von Zuschauern auf der Homburger Straße, an der Massenheimer Brücke und auf dem Feld hinter der Ziegelei hören davon durch den B 3-Lärm nichts, die die geladenen Gäste auf den Balkonen des neuen Wohn- und Geschäftshauses auf dem Areal bekommen das mit. Doch den Knall, den hören alle. Simon Zeller betätigt den Auslöser, 7,25 Kilogramm Sprengstoff gehen in den zuvor gebohrten Löchern des Turmes hoch. Kurz verharrt der Turm, dann kippt er leicht zur Seite, bricht in der Mitte durch und kollabiert auf einer recht kleinen Fläche.

Volksfeststimmung

„Das hat alles optimal geklappt, nur ein kleines Stück des Turmes ist stehengeblieben.“ Das könne man ja vielleicht für die geplanten Repliken verwenden, die auf dem mittleren der Drei Kreisel in der Homburger Straße sowie seit kurzem auch für einen angedachten Kreisel Am weißen Stein direkt vor dem Areal angedacht sind. Auch mit der Disziplin der Schaulustigen ist Zeller zufrieden. Keiner habe versucht, sich an den Sicherheitsposten vorbeizuschleichen. Ein Urteil dem sich Bad Vilbels Polizeichef Jürgen Werner anschließt. Manche seien auf den letzten Drücker gekommen, hätten dann aber nach Aufforderung ungünstige Parkpositionen geräumt.

Nach der Sprengung herrscht rund um den Ort der Detonation nahezu Volksfeststimmung. Kinder toben in den Trümmern, andere sichern sich die ersten Steine. So wie Jule Kester und ihre Tochter Claire Pereira. 15 Jahre hat Kester in Massenheim gewohnt, ist dann in die Kernstadt gezogen. „Es ist eine Erinnerung an die alte Heimat sagt sie, will die Steine auf der heimischen Terrasse platzieren. Dafür gibt sie gerne eine 20-Euro-Spende, die erste an diesem Tag. Und sie sagt: „Ein bisschen traurig ist es schon, dass der Turm jetzt weg ist.“