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Gedenken an Pogromopfer

Auch an die Rolle christlicher Brandstifter wird in der St.-Michaelis-Kirche erinnert

Sprechen über Antisemitismus früher und heute (von links): Hartmut Polzer, Rabbiner Andrew Steiman und Pfarrer Werner Giesler. Foto: Mag
Sprechen über Antisemitismus früher und heute (von links): Hartmut Polzer, Rabbiner Andrew Steiman und Pfarrer Werner Giesler. Foto: Mag

In der evangelischen Kirche Klein-Karben fand eine Ge- denkveranstaltung zur Reichskristallnacht statt. Als Gast setzte sich Rabbiner Andrew Steiman von der Henry- und Emma-Budge-Stiftung aus Frankfurt für den Dialog ein.

Karben. Das Gedenken ist den Karbenern wichtig, denn auch dort hat die Pogromnacht 1938 getobt. „Die jüdische Gemeinde in Groß-Karben umfasste zehn Prozent der Einwohner“, erklärt Hartmut Polzer, der sich intensiv mit der Zeit auseinandergesetzt hat und den Abend moderierte. „Gegen 15 Uhr ging es am 9. November 1938 los, die Synagoge wurde ausgeraubt und geschändet“, sagte er.

Pfarrer Werner Giesler leitete den Abend ein. Nach einem Cello-Vorspiel der Musikerin Lydia Blum und einer Gedenkminute sprach er über den Antisemitismus von Martin Luther bis zur heutigen Zeit. Dabei erläuterte er Luthers Sieben-Punkte-Programm zur „Entladung von der Judenlast“.

Diese Schrift geht hart mit den Juden ins Gericht und gibt einen brutalen Plan vor, wie Juden in der Gesellschaft zu behandeln seien. „Der Nationalsozialist Julius Streicher hat bei seinem Prozess in Nürnberg gesagt, nicht er sollte auf der Anklagebank sitzen, sondern Martin Luther“, erklärte der Pfarrer. Das sei ein Beweis dafür, dass sich das Denken bis in die moderne Zeit ziehe.

„Es ist eine große Anerkennung, dass man sich in einer Kirche dieser Thematik annähert“, sagte Rabbiner Andrew Steiman aus dem Budge-Stift. Es sei ein Wunder des Dialogs, dass eine Veranstaltung wie diese in Karben nun möglich sei. Im Jahr 1988 fand das Gedenken zum ersten Mal statt. Vor 100 Jahren wäre dies undenkbar gewesen. „Es kann nicht der Wille Gottes sein, dass sich alle gegenseitig den Schädel einschlagen“, mahnte der Rabbiner. In Deutschland erlebe man momentan einen gewaltigen Rechtsruck. Der Antisemitismus steige an, doch begegne man ihm kaum.

Schließlich stünden mit den modernen Medien völlig neue Methoden zur Verfügung, Hass zu verbreiten. Andrew Steinman wies auf die gemeinsamen Wurzeln von Christen und Juden hin.

Woher der Hass?

Damit die Veranstaltung nicht zu frontal wurde, eröffneten der Rabbiner und der Pfarrer eine Diskussionsrunde. Woher dieser Hass gegen Juden komme, der sich durch alle Zeiten und Länder ziehe, fragte ein Gemeindemitglied. „Die Frage ist kaum zu beantworten, sie ist viel zu komplex“, sagte Werner Giesler. Andrew Steinman zitierte Mark Twain. Dieser habe zu Engländern und Amerikanern gesagt: „Wir werden durch eine gemeinsame Sprache getrennt.“ (nma)