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Im Namen der Lilie

Bad Vilbel. Über die geplante Nutzung des Areals kann Erika Fuhr keine Auskunft geben. Die Ära der Gastwirtschaft „Zur Lilie“, eins der ältesten Lokale der Stadt, in der Friedberger Straße 18, endete bereits 2009.

Gegründet wurde die Gastwirtschaft „Zur weißen Lilie“ um 1745 vom Bender, Bierbrauer und Gastwirt Johannes Hinkel (1713 -1798), wie Stefan Kunz in seinem Buch „Das Bierbrauergewerbe in Bad Vilbel“ beschreibt. In der 2007 als Band 50 der Bad Vilbeler Heimatblätter herausgegebenen Publikation listet der Diplom-Ingenieur der Getränketechnologie, die wechselvolle Geschichte des gutbürgerlichen Lokals und seiner Besitzer auf.

Die Ära der „Bierbrauer“ unter den Lilien-Wirten endete bereits 1825 mit dem Tod des Gründersohnes Johann Philipp Hinkel (II.).

Mit der gewerblichen Apfelweinproduktion begann 1882, vier Generationen später, der gelernte Schreiner Wilhelm Isaak Hinkel (1843 -1925). Laut Stefan Kunz befand sich das „Kelterhaus in der umgebauten und komplett unterkellerten Scheune. Der Apfelwein wurde unter anderem in Flaschen gefüllt und auch in kleinen Fässern bis nach Frankfurt verkauft.“ Sohn Wilhelm Adam Hinkel I. (1878 – 1962), gelernter Metzger, übernahm die Wirtschaft 1912. Er eröffnete neben der Wirtschaft noch eine Metzgerei.

Tochter Marie Wilhelmine Hinkel heiratete 1941 den aus Groß-Karben stammenden Metzger Willi Fuhr, der dann die Gaststätte des Schwiegervaters 1962 übernahm. Bis zu Beginn der 1970er Jahre hielt er den Metzgereibetrieb aufrecht. Mit Wolfgang Groß, Werner Barth und Oswin Brunner folgten von 1967 bis 1977 drei Inhaber Willi Fuhr. Am 11. Juli 1977 übernahm schließlich Willi Fuhrs Schwiegertochter, Erika Fuhr, eine geborene Köhn, die Gastwirtschaft.

Die eigene Apfelweinproduktion wurde Ende der 1980er Jahre aufgegeben. „Die Lilie“ befand sich seit 1852 im Familienbesitz“, berichet Erika Fuhr. Die gelernte Einzelhandelskauffrau hatte 1964 Werner Fuhr geheiratet. „Mein Mann verunglückte 1970 mit dem Auto tödlich. Mit 24 Jahren war ich Witwe mit zwei kleinen Kindern“, erzählt sie rückblickend. Erika Fuhr führt „Die Lilie“ anfangs gemeinsam mit ihren Schwiegereltern, ihrer Mutter, hinzu kamen zwei Servicekräften und Küchenhilfen. Danach führte sie die Gaststätte mit Koch Rudi Hufer bis zu dessen Tod 2009.

In dem im ersten Stock gelegenen großen Saal hatten 100 Gäste Platz. Dort waren 1801 vorübergehend holländische Offiziere einquartiert. „Ich habe die Wirtschaft 1989 umgebaut und durch den Wegfall der Metzgerei den Gastraum auf 60 Plätze vergrößert“, erzählt die 65-Jährige. Die Saalfläche wurde aufgeteilt in eine Zweizimmerwohnung, einen kleinen Saal und ein Kolleg für 25 Personen. Die neuen Räume wurden benötigt, denn das Gasthaus „Zur Lilie“ war seit seiner Gründung ein beliebter Treffpunkt der örtlichen Vereine. So ließen es sich die Stammtischbrüder der „Sachsehäuser Appelwei-Geschworene“ im Garten der „Lilie“ schon 1925, anlässlich des 100-jährigen Marktjubiläums, bei selbst gekelterten Schöppche gut gehen. Die genannten Stammtischbrüder kamen aber nicht – wie man denken könnte – aus Frankfurt, sondern aus Vilbel. Mit „Sachsenhausen“ bezeichneten die Einheimischen nämlich früher den nördlich der Nidda gelegenen Teil Vilbels.

„Wir waren über 150 Jahre lang das Vereinslokal von 20 Vereinen. Bei uns trafen sich die Turner, Handballer, die Fußballer, der Gesangverein Liederkranz, der „Musikverein Silvia“, der Karnevalsverein „Die Schoten“, die Angler, Taubenzüchter, Vogelschützer und Motorsportler.“, zählt sie auf. Auch viele Schuljahrgänge gaben sich regelmäßig in der „Lilie“ ihr Stelldichein. Von den Gästen wurde das Lokal wegen des guten Stöffchens oder eines frisch gezapften Bieres sowie der gut bürgerlichen Küche hoch geschätzt.

Zu den Stammgästen der „Lilie“ gehörten ab 1965 die Berliner Karin und Jochen Zeitler. „Einer unserer ersten Wege im verträumten Vilbel führte uns vom Heilsberg in die Kernstadt und dort in ,Die Lilie’. Dort stand Wirtin Erika Fuhr hinterm Tresen und Rudi Hufer kochte leckere Gerichte in der Küche. Das waren für uns damals Höhepunkte: Zu Fuß vom Heilsberg zur Lilie, gut essen und dann wieder zu Fuß zurück “, erinnert sich Zeitler

„Wir hatten 20 Jahre lang ab Mittag geöffnet, 100 bis 120 Gäste kamen täglich, um bei uns Mittag zu essen. Später hatten wir ab 17 Uhr bis Feierabend offen.“ Sohn Michael hat zwar Koch gelernt, entschied sich allerdings für eine andere Branche und machte sich selbstständig, Tochter Petra, eine gelernte Hotelfachfrau, sattelte ebenfalls beruflich um. Die Wirtin fand weder in ihrer Familie noch außerhalb einen geeigneten Nachfolger. Ein Investor meldete sich, der auf ihrem und den angrenzenden Grundstücken eine seniorengerechte Wohnanlage bauen wollte. „Dieses Projekt ist an der Stadt Bad Vilbel, ihren Auflagen und der zeitlichen Verzögerung gescheitert“, bedauert Erika Fuhr.

Sie ist heute zwar offiziell im Ruhestand, treibt aber viel Sport und lernt Spanisch, doch ihre Berufung als Gastgeberin lässt sie nicht los. „Ich jobbe jeden Mittwoch im Imbissstand der Metzgerei Ströhl auf dem Parkplatz des Bauzentrums Maeusel. In der Urlaubszeit auch öfters. Viele meiner Stammgäste schauen auf einen Kaffee oder eine Bratwurst vorbei. Wir erzählen und lachen und es ist fast so schön wie früher. Abends gehe ich beschwingt nach Hause und bin glücklich“, sagt die Wirtin im Unruhestand.