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„Is’ die Gass’ schon gekehrt?“

Samstags in der Wetterau. Auf die ruhigen Straßen fallen erste Sonnenstrahlen. Vögel singen, rote Herbstblätter wirbeln durch die Luft.

Plötzlich geht es los: Der erste Nachbar öffnet das quietschende Tor, stellt seinen Laubeimer auf den Bürgersteig und beginnt zu kehren. Bald bekommt er Gesellschaft: Auch die Nachbarin von gegenüber sammelt das Papier vor ihrem Haus auf. Und schließlich: Das Kratzen vor dem Eckhaus deutet an: Auch zu dieser Jahreszeit gibt es noch Moos auf dem Gehweg, das entfernt werden muss.

Als ich nach Karben zog, war ich von der Wetterauer Kehrwoche zunächst überfordert. Aus München oder Leipzig kannte ich das nicht. Ich musste erst darauf hingewiesen werden, dass sogar die Gräser zwischen den Bordsteinfugen zu entfernen seien. Auch brachten die Tage der Müllentsorgung olympische Leistungen zum Vorschein: Wer stellt seine Tonne nach der Leerung zuerst wieder in den Hof?

Anfangs dachte ich: Wie schön, dass sich die Menschen so um ihr Gemeinwesen kümmern! Und klar, so viele anerkennende Blicke wie beim morgendlichen Kehren erntete ich sonst nur selten. Als ich allerdings hörte, wie man wieder über die Nachbarin tuschelte, die sich um ihr Laub eben nie kümmert, wurde ich nachdenklich. Genauso, als sich vor einer Beerdigung ein Nachbar des Verstorbenen erinnerte: „Über den kann ich nur Positives sagen. Samstags hat der immer die Gass’ gekehrt!“ Schnell beurteilen wir Menschen danach, ob sie auch ordentlich „schaffe’“ – für sich und für andere.

Wie gut, dass im Himmel andere Maßstäbe angelegt werden. Paulus meinte: „Gerecht werden wir nicht durch unsere Verdienste, sondern durch Gottes Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschieht.“ (Röm 3, 24). Nicht auf unsere wöchentliche Leistung, sondern auf unsere Liebe und das Vertrauen in Gott und unsere Mitmenschen kommt es an. Natürlich lebt unsere Ortsgemeinschaft davon, dass wir uns auch ganz praktisch für eine gemeinsame Ordnung einsetzen. Aber doch glaube ich fest, dass uns Jesus eines Tages nach anderen Dingen fragen wird als nach dem Laubhaufen vor unserer Haustür.

Bleiben Sie behütet!

Ihr Vikar Daniel Lenski,

Burg-Gräfenrode und Okarben