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Mehr Freiheiten – weniger Bürokratie

Julian Rosenberger spricht im Interview davon, wieso er und viele andere Apotheker sich von der Politik nicht wertgeschätzt fühlen. Foto: Eickhoff
Julian Rosenberger spricht im Interview davon, wieso er und viele andere Apotheker sich von der Politik nicht wertgeschätzt fühlen. Foto: Eickhoff

Bad Vilbel. Am Mittwoch protestieren Apotheken bundesweit für eine faire Leistungsvergütung und weniger Bürokratie. Der Protest richtet sich gegen die Politik der Bundesregierung, die die wichtige Aufgabe der Arzneimittelversorgung auf verschiedenen Ebenen massiv gefährdet, wie Dr. Julian Rosenberger im Interview erläutert. Der Inhaber der Bad Vilbeler Süd-Apotheke sieht bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen große Herausforderungen für die Zukunft der Apotheker.
In ganz Deutschland bleiben am Mittwoch viele Apotheken geschlossen. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) hat zum Protest aufgerufen. Dr. Julian Rosenberger, Inhaber der Bad Vilbeler Süd-Apotheke, erklärt, wieso die Apotheker protestieren, was sich dringend ändern muss und warum immer mehr Apotheken insbesondere in ländlichen Regionen geschlossen werden.
Herr Dr. Rosenberger, fangen wir mal einfach an. Wieso bleiben viele Apotheken in Deutschland – darunter auch Ihre – morgen geschlossen?
Der bundesweite Protesttag, zu dem von allen Ebenen der Apothekenvertretungen aufgerufen wird, soll auf verschiedene Punkte aufmerksam machen. Vieles ist einfach nicht mehr in Ordnung und an die aktuelle Situation angepasst.
Was denn zum Beispiel?
Ein Thema sind die seit mehreren Jahren andauernden und gegenwärtigen Lieferengpässe von essenziellen Arzneimitteln wie Schmerzmittel und Antibiotika. Das ist in der breiten Öffentlichkeit zwar angekommen, aber im politischen Berlin noch nicht. Die Versorgung der Bevölkerung mit diesen Arzneimitteln ist mit extremen Aufwand verbunden, der durch bürokratische Einschränkungen jetzt noch extremer werden soll.
Wie meinen Sie das?
Aktuell haben wir coronabedingt noch eine gewisse Flexibilität bei der Handhabung der Lieferengpässe. Beispielhaft sind hier Teilgaben von verordneten Mengen der Arzneimittel zu nennen. Ist die kleine Packung nicht lieferbar, durften bisher Teilabgaben aus Großpackungen getätigt werden, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen.
Und das soll künftig anders laufen?
Ja, leider. Aktuell befindet sich ein Gesetz in der Pipeline, das ab diesem Sommer verabschiedet werden soll. Das beraubt uns vieler Freiheiten und kann weitreichende Konsequenzen haben.
Welchen denn?
Wenn das so kommt, müssen wir dem Patienten bei Lieferengpässen häufig zurück an den Verordner, also die Arztpraxis, verweisen. Die Kollegen werden dementsprechend ebenfalls überrannt mit formalen Änderungen der Verordnung. Derzeit können wir gemeinschaftlich noch schnell und unbürokratisch reagieren. Dann eben nicht mehr.
Sie würden sich also weniger Bürokratie wünschen?
Natürlich. Es wird immer mehr. Das ist auch ein Punkt des Protestes.
Könnten Sie diesen Punkt näher ausführen?
Alles ist hochreguliert, was im Bereich der Arzneimittelversorgung eigentlich selbstverständlich auch nachvollziehbar ist. Langsam werden die Maßnahmen jedoch unübersichtlich und überfordernd. Es gibt beispielsweise für ein und denselben Bereich in der Apotheke zwei unabhängige Überwachungsinstitutionen. Das ist doppelte Arbeit für uns Apotheken und auch für die Aufsichtsbehörden. Das ist unserer Ansicht nach überflüssig.
Fühlen Sie sich wertgeschätzt seitens der Politik?
Um ehrlich zu sein, nein. Es ist geplant, dass die Handhabung eines Lieferengpasses auf einer ärztlichen Verordnung, der bearbeitet wird, mit 50 Cent vergütet werden soll. So sieht für mich keine Wertschätzung aus. Für die 50 Cent kann ein Mitarbeiter etwas mehr als 20 Sekunden arbeiten. Wenn ein Arzneimittel nicht lieferbar ist, müssen wir mit Ärzten ins Gespräch gehen, müssen alternative Beschaffungswege wie Importe aus dem Ausland über spezielle Fachabteilungen der Großhändler überprüfen oder eine Eigenherstellung in der Apotheke in Betracht ziehen. Der geschätzte Arbeitsaufwand liegt hier im Bereich von Minuten und Stunden, nicht von den oben erwähnten Sekunden. Die 50 Cent spiegeln das aus betriebswirtschaftlicher Sicht in keiner Weise wider. Irgendwie muss ja auch das Personal bezahlt werden.
Ein wichtiger Punkt des Protestes ist die Erhöhung der Vergütung in der Arzneimittelpreisverordnung. Können Sie das etwas näher ausführen?
Der Hauptumsatz einer Apotheke, sprich etwa 80 bis 90 Prozent, wird durch verschreibungspflichtige Medikamente erwirtschaftet. Den Festzuschlag, den eine Apotheke pro Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments verdient, wurde 2004 und etwa zehn Jahre später noch einmal um ein paar Cent angepasst. Es gab also seit fast 20 Jahren keine wirkliche Anpassung der Vergütung. Wir fordern eine Erhöhung um etwa 40 Prozent von 8,35 Euro auf 12 Euro.
Woher kommt diese Summe?
Seit 2004 gibt es eine Inflation von 42 Prozent. Die Lage entgleist langsam. Die Fixkosten werden immer höher, die Personal-, Miet- und Energiekosten ebenfalls. Wir müssen handlungsfähig bleiben und möchten selbstverständlich als attraktive Arbeitgeber den pharmazeutischen Nachwuchs auch etwas bieten können.
Auf den Plakaten zum Protesttag heißt es auch, dass viele Apotheken eben genau das nicht mehr sind… Wie sieht die Lage aus?
Im vergangenen Jahr sind 391 Apotheken geschlossen worden. Dieses Jahr sind es allein im ersten Quartal 129. Der Trend ist steigend. Es gibt eine starke Stadt-Land-Verteilung und grade in ländlichen Regionen ist die Schließung einer Apotheke aufgrund der niedrigeren Apothekendichte als kritischer anzusehen als in städtischen Gebieten.
Wieso trifft es eine Apotheke auf dem Land noch mal stärker?
Was viele nicht wissen, dass es gesetzliche Fixkosten gibt, die vorgeschrieben sind. Jede Apotheke muss zum Beispiel ein Labor unterhalten, das der Eigenherstellung von Arzneimitteln dient. Beispiele für die Eigenherstellung sind neben den oben erwähnten Versorgungen mit nicht lieferfähigen Arzneimitteln spezielle patientenindividuelle Verordnungen von Hautärzten sowie niedrig dosierte Arzneimittel für Babys und Kleinkinder im kardiologischen Bereich.
Wenn das so weitergeht, dann wird es mit der Versorgungspflicht kritisch im ländlichen Raum.
Wie sieht die Lage in Vilbel und Karben aus?
Noch gut, aber wenn auf der Frankfurter Straße jetzt mehrere Apotheken zumachen, wüsste ich nicht, wie wir oder andere das auffangen sollen. Am Protest beteiligen sich alle Inhaber der Apotheken. Die gesetzliche Versorgungspflicht ist wegen des gesetzlich vorgeschriebenen Notdienstes einer Apotheke im definierten Notdienstkreis jedoch gewährleistet.
Die Neue Apotheke in Karben wird nur für den akuten Notfall ansprechbar sein.