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Mörderisches Verwirrspiel

Björn Diemel (Ralph Opferkuch, links) verstrickt sich in Kontakte zu Sascha (Svenja Wasser, Mitte) und Walter (Thomas Gerber, rechts). Foto : Eugen Sommer
Björn Diemel (Ralph Opferkuch, links) verstrickt sich in Kontakte zu Sascha (Svenja Wasser, Mitte) und Walter (Thomas Gerber, rechts). Foto : Eugen Sommer

Bad Vilbel. »Das Kind in mir will achtsam morden« heißt die Kriminalkomödie des Autors Karsten Dusse, die in der Bühnenfassung von Regisseur Ulrich Cyran im Theaterkeller der Wasserburg Premiere hatte.
Leichen hat wohl so mancher im Keller, seien es verdrängte Probleme, dunkle Charakterzüge oder quälende Altlasten aus der Vergangenheit. Strafverteidiger Björn Diemel (Ralph Opferkuch) hält seine quicklebendige »Leiche«, den Mafia-Boss Boris, im untersten Stockwerk seines stylischen Altbaus gefangen. Niemand darf von dessen Existenz und somit von den mörderischen Seiten Diemels erfahren, zumal sich direkt über dem Gewölbe ein Kindergarten befindet, weiter oben Wohnung und Anwaltskanzlei.
Wie Intendant Claus-Günther Kunzmann vor der Aufführung noch erläuterte, hat die Burgfestspielsaison unter erschwerten Umständen begonnen: »Vor wenigen Tagen kam es während der Proben zu einem Bühnenunfall, so dass die weibliche Hauptdarstellerin Anne Diemer bis zum 16. Juni ausfällt.« Und weiter: »Svenja Wasser, Protagonistin des erfolgreichen ersten Teils ›Achtsam morden‹, hat sich innerhalb weniger Tage in die vielfältigen Rollen eingearbeitet, die ihr der zweite Teil abverlangt.«
Sonderapplaus für
mehrere Rollen

Nach dieser Ankündigung wurde Wasser mehrfach mit Sonderapplaus bedacht – verkörpert sie doch nicht nur Björn Diemels Noch-Ehefrau Katharina und die gemeinsame Tochter Emily, sondern auch den kriminellen Kindergarten-Erzieher Sascha, Kommissarin Petra Egmann, Kindergarten-Mutter Laura sowie kurzzeitig den Achtsamkeitscoach Joschka Breitner und Erzieherin Frauke in Gestalt einer Handpuppe. Und mit diesem Kaleidoskop ist nur die weibliche Hälfte des mörderischen Verwirrspiels rund um Björn Diemel, sein inneres Kind, die Holgerson-Bande, die goldene Jesusstatue, die Asozialen im Park und den renitenten Hüttenkellner aus den bayerischen Alpen umrissen. Den männlichen Gegenpart verkörpert Thomas Gerber, tragend und professionell weichgespült als Achtsamkeitscoach Joschka Breitner, locker-lässig und nervend als Elektro-Roller-Fabrikant Kurt, brutal als krimineller Security-Chef Walter, gelegentlich verzweifelt als die lebende Leiche Boris, kurzzeitig auch als Erzieher Sascha oder als die (Puppen-)Elternbeiräte Claudio und Beate.
So vielfältig wie die Rollenverteilung in dem imaginären mehrstöckigen Haus haben Regisseur Ulrich Cyran, Dramaturgin Ruth Schröfel und Regieassistentin Manuela Güth das gesamte Stück rund um die Psyche des Strafverteidigers Björn Diemel angelegt. Struktur und Trennschärfe stellen Bühnenbau und Kulisse von Dorothea Mines sowie die Soundcollagen von David Bosch her, so dass man jederzeit in der Lage ist, dem komplexen Geschehen zwischen den annähernd 20 Personen, einschließlich dem inneren Kind, zu folgen. Dies auch, als in einer Kurz-Sequenz Teil eins im Zeitraffer nachgeholt wird. Regisseur Ulrich Cyran versteht es meisterhaft, in seiner Bühneninszenierung die wesentlichen Handlungsstränge herauszuarbeiten und den gesellschaftskritischen schwarzen Humor der Buchfassung zu erhalten.
Strafverteidiger
im Spannungsfeld

Inmitten dieses komplexen Plots sucht Björn Diemel, geleitet durch die Anweisungen seines omnipotenten Achtsamkeitscoachs, einen Weg durch die Herausforderungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Ralph Opferkuch – der den Strafverteidiger im Spannungsfeld zwischen Beruf, Ehe und Flirt, Elternschaft und Kita-Szene, Mörder und Mafia-Komplize ironisch und facettenreich verkörpert – begibt sich unter dem Motto: »Es ist nie zu spät für eine unglückliche Kindheit« auf die Suche nach den Verletzungen seiner frühen Jahre. Er wird fündig, wobei ein Kaiserschmarrn und eine hilflose Keller-Katze namens Tapsi eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Das innere Kind, ebenfalls dargestellt durch Ralph Opferkuch, fungiert dabei als psychologische Ursache und daraus resultierende Rechtfertigung der dunklen Taten.
Das Publikum verfolgte das rasante Geschehen erkennbar mit viel Sensibilität für Thrill und Satire, zeigte sich begeistert angesichts der verbalen Parallelsetzung von Brandanschlag und feurigem Liebesakt und goutierte den Premierenabend mit viel Applaus. Ein Cliffhanger durfte nicht fehlen: Das innere Kind ist vorerst befreit und geheilt, doch im Keller gibt es einen neuen Gefangenen und der Rest ist: Schweigen.
Von Inge Schneider