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Noch Leichen im Keller – Zur: Die Geschichte kommt erst zur Ruhe, wenn die ganze Wahrheit bekannt ist

Bad Vilbel. Die Aufarbeitung der Geschichte der Vilbeler Juden betreibt der streitbare 75-jährige Rafael Zur nach wie vor mit großem Engagement. „70 Jahre nach Raub und Mord an der jüdischen Bevölkerung von Bad Vilbel stehen, wie vor einigen Monaten geschehen, NPDler am Zentralparkplatz und werben um Parteimitglieder – und einige Bad Vilbeler Bürger tragen sich tatsächlich ein“, empörte sich der Vorsitzende der rund 50 Familien zählenden jüdischen Gemeinde anlässlich eines Rundgangs zu verschiedenen Plätzen aus der jüdischen Geschichte Bad Vilbels.

Die 20 Teilnehmer aus Bad Nauheim machten unter anderem Station am jüdischen Friedhof, an dem heute privat genutzten Gebäude der ehemaligen Synagoge in der Frankfurter Straße 78 und an den elf in der Frankfurter Straße verlegten „Stolpersteinen“.

„Alle Parteien haben von den Pogromen gewusst, doch keiner hat sich getraut dieses heiße Eisen anzufassen“, sagt Zur rückblickend. Zwar habe man sich mit dem Thema Holocaust allgemein auseinandergesetzt, doch „die verlorenen Juden von Bad Vilbel“ seien nie ein Thema gewesen. „Da sind noch Leichen im Keller“, hätten ihm Parteifreunde auf Nachfrage gesagt.

Auch in der 1969 erschienen Stadtchronik von Willi Giegerich, die bis heute noch oft zitiert werde, habe jüdisches Leben mit keiner Zeile Erwähnung gefunden. Und dies, obwohl die jüdische Gemeinde vor dem Krieg aus rund 150 Familien bestanden habe und „90 Prozent der Geschäfte entlang der Frankfurter Straße“ jüdisch gewesen seien. Erst 1998 sei auf seinen Antrag hin und mit Unterstützung durch die Stadt diese Lücke mit dem von Berta Ritscher verfassten Band der Heimatblätter „Geschichte der Vilbeler Juden“ geschlossen worden.

Zum 70. Jahrestag der sogenannten „Reichskristallnacht“, der im November bevorsteht, plant Zur nun die Veröffentlichung von Akten, die erst vor kurzem vom Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt freigegeben wurden. Darin ist ein Prozess über Raub und Mord dokumentiert, der von 1946 bis 1950 vor dem Landgericht Gießen anhängig war und mit milden Urteilen endete. Die Geschichte werde mit diesem Material nicht neu geschrieben, so Zur, aber auf jeden Fall eindrucksvoll belegt. Mit der Veröffentlichung wolle er niemandem wehtun, doch sei ihm daran gelegen, dass die ganze Wahrheit endlich ans Licht komme.