Veröffentlicht am

Richter geben SPD Recht – War es freie Meinungsäußerung oder doch Schmähkritik?

War es freie Meinungsäußerung oder Schmähkritik, als die SPD der Stadt vorwarf, diese habe Verhandlungen zur Neuen Mitte hinausgeschoben und finanziellen Schaden verursacht? In seiner jetzt vorliegenden Begründung weist das Verwaltungsgericht Gießen eine Klage des Magistrats gegen die SPD ab.

Bad Vilbel. Es handele sich um sachliche Äußerungen und politische Bewertungen. Die Annahme, der Kaufvertrag sei „grundlos verzögert worden“, sei „nicht ganz fernliegend“, fanden die Gießener Richter. Hintergrund des Streits war der Verkauf städtischer Grundstücke am früheren Zentralparkplatz an die Humanistische Stiftung zum Bau der Neuen Mitte. Dazu gab es einen Akteneinsichtsausschuss.

Die SPD argumentierte damals, dass der Abschluss des Kaufvertrags „ohne erkennbare Gründe verzögert“ worden sei. Außerdem habe es Abweichungen von ursprünglichen Vereinbarungen gegeben. Dadurch habe es einen Zinsnachteil in Höhe von zirka 75 000 Euro für die Stadt gegeben.

Gegen die Äußerung der SPD klagte die Stadt vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt, das den Fall an das Verwaltungsgericht Gießen (VG) weiterreichte. Der schwarz-gelbe Magistrat sah in der Kritik der Sozialdemokraten die Anschuldigung, sich pflichtwidrig verhalten zu haben – es handele sich aber um unwahre Tatsachenbehauptungen.

In der Urteilsbegründung erläutert das VG: „Amtliche Verlautbarungen und Wertungen, wie überhaupt Meinungskundgebungen öffentlich-rechtlicher Funktionsträger in amtlicher Eigenschaft, fallen nämlich aus dem sachlichen und persönlichen Gewährleistungsbereich der Meinungsfreiheit heraus. Entsprechende Äußerungen sind, wenn sie Rechte Dritter berühren, im Einzelfall allerdings rechtfertigungsbedürftig. Sie müssen den hoheitlichen Kompetenzrahmen wahren und haben dem Gebot der Sachlichkeit (…) gerecht zu werden.“

Das Gericht rügte, es sei zu berücksichtigen, dass dem Akteneinsichtsausschuss nach dem unwidersprochenen Vortrag der SPD „zur Einsicht lediglich der notarielle Kaufvertrag vom November 2009 vorgelegen hat, nicht aber die dazugehörigen Verwaltungsvorgänge“. Mit dieser Verfahrensweise habe die Stadt gegen die Verpflichtung verstoßen, dem Akteneinsichtsausschuss „sämtliche bei der Verwaltung geführten einschlägigen Akten vorzulegen. Aber nur auf diese ihr offenbar sehr fragmentarisch vorgelegten Unterlagen konnte die Beklagte ihre Stellungnahme stützen.“ Wenn man davon ausgehe, sowie dem Umstand, dass der Bürgermeister der Stadt Vilbel im Parlament im Mai 2009 offiziell geantwortet habe, der Kaufvertrag könne jederzeit protokolliert werden, sei die Annahme „nicht ganz fernliegend“, der Kaufvertrag sei ,grundlos verzögert worden“.

„Eine restriktive Beschneidung der Zulässigkeit politischer Bewertungen der Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung“ widerspräche der Stellung dieses Gremiums als oberstem Organ der Stadt und dessen Aufgabe, die gesamte Verwaltung und die Geschäftsführung des Magistrats zu überwachen, geben die Verwaltungsrechtler zu bedenken. „Eine solche Auslegung ließe die Kontrolltätigkeit im Ergebnis leerlaufen und würde auch das freie kommunale Mandat gefährden.“

Für die SPD erklärten der Fraktionsvorsitzende Walter Lochmann und der Parteivorsitzende Udo Landgrebe, dass das Gericht die Freiheit der Meinungsäußerung gestärkt habe.

Heftige Kritik übt der Ehrenstadtrat Klaus Minkel (CDU) an dem Urteil: „Die inoffiziellen Leitsätze des Urteils könnten lauten: 1. Lügen ist in der Politik erlaubt, 2. Im Gegensatz zu den hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums dürfen Amtswalter nicht mehr auf Ehrenschutz hoffen.“

„Wie bei jedem anderen Urteil“ prüfe die Stadt Bad Vilbel auch in diesem Fall die Möglichkeit, Berufung einzulegen, teilte Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) gestern mit. Die Stadt hat bis Ende März Zeit, Berufung einzulegen.