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Schwieriges Erbe – Stadt will mit jüdischer Gemeinde ein Konzept für Museum entwickeln

Wie könnte eine Dauerausstellung zum jüdischen Leben in Bad Vilbel aussehen? Das prüft das Kulturamt. Doch der Bestand an Exponaten ist sehr gering, weitere Forschung erforderlich. Das sieht auch die jüdische Gemeinde so, wenngleich es dort Kritik am bisherigen Engagement der Stadt gibt.

Bad Vilbel. „Eine Geschichte von 500 Jahren wurde an einem Tag vernichtet“, kommentiert Rafael Zur, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, die Folgen des Juden-Pogroms am 10. November 1938 im damaligen Vilbel. Weil dieses Jahr der Gedenktag auf einen Sabbat fällt, werde es diesmal keine Gedenkveranstaltung vor dem Alten Rathaus geben, sondern nur ein Kaddisch-Gebet am 9. November, kündigt Zur an.

„Ungelegtes Ei“

Doch die Erinnerung hat viele Schauplätze. Einer ist die von Zur vorgeschlagene jüdische Gedenkstube, die im von der Stadt angekauften Haus Frankfurter Straße 50 unterkommen könne. Offiziell ist das aber noch lange nicht. Es gebe einen Prüfantrag an den Magistrat, den das Parlament am 19. Juni einstimmig verabschiedet habe, sagt Kulturamtsleiter Claus-Günther Kunzmann. Er komme jetzt erst dazu, die Angelegenheit zu bearbeiten, „das ist noch ein ungelegtes Ei“. Es gehe nun darum, aus Stichpunkten ein Konzept zu entwickeln – in Rücksprache mit der jüdischen Gemeinde. Dabei sei auch zu klären, „was sind die räumlichen Anforderungen, was will man, wen will man erreichen?“

Dabei gibt es ein großes Handicap. Der Bestand historischer Materialien sei „überschaubar“, so Kunzmann. Es gebe eigentlich nur Fotos und Dokumente. Bleiwüsten hingegen seien für Museumsbesucher nicht attraktiv. Man werde sich deshalb mit anderen Dokumenten behelfen müssen. So sei dokumentiert, dass der junge Egon Lapp damals nach Theresienstadt deportiert wurde. Da könne man als Ergänzung seiner Biografie Filmmaterial von dem Vernichtungslager zeigen. Auch von der Synagoge ist nichts überliefert. Zur Enttäuschung Zurs verweist nicht einmal eine Gedenktafel auf den Standort, einen Hinterhof in der Frankfurter Straße 95. Doch seine Begründung, das Haus Frankfurter Straße 50 zu nutzen, weil dort die letzten Vilbeler Juden Zuflucht gefunden hätten, sei falsch, kontert Kunzmann. Diese Adresse spiele keine Rolle, vielmehr hätten Recherchen von Berta Ritscher 1995 ergeben, dass es sich um ein angrenzendes Gebäude, das erste Haus in der damaligen Judengasse, gehandelt habe. Dort sei auch ein Stolperstein verlegt worden.

Bereits 2011 sagte Zur der FNP, Stadtrat Klaus Minkel (CDU) habe ihm versprochen, sich für den Ankauf des Gebäudes einzusetzen. Dessen Besitzer, das Ehepaar Gringmuth, wollte die Immobilie vis-à-vis zur Tiefgaragenausfahrt der Neuen Mitte aus gesundheitlichen Gründen veräußern.

Um das geplante Museum zu bestücken, sei weiterer Forschungsaufwand nötig, sagt Kunzmann. Der kommt auch einem weiteren von Zur geforderten Vorhaben zugute. 2014 soll die Ausstellung „Legalisierter Raub“ auch in Bad Vilbel Station machen. Das habe er schon vor zwei Jahren gefordert, sagt Zur, aber es habe geheißen, dafür gebe es im Kurhaus keinen Platz.

Ausstellung 2014

Erst auf Nachfrage bei Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) sei das Vorhaben aufgegriffen worden. Kunzmann entgegnet: „Ich bin an der Ausstellung seit fünf Jahren dran.“ Das Problem sei die notwendige Fläche. Nun arbeite man an der Belegung des ersten Stocks im Kurhaus, wolle ihn für zwei Monate frei machen, damit die Ausstellung 2014 kommen könne. Allerdings brauche es anderthalb Jahre Vorlauf, auch Schulen und Zeitzeugen müssten eingebunden, die lokale Komponente der Vilbeler Geschichte erarbeitet werden.

Vilbels Geschichte

Das ist auch ein großes Anliegen Zurs. Bitter erinnert er sich daran, dass noch in den Siebzigern, als er nach Bad Vilbel gekommen sei, selbst die SPD eine Aufarbeitung der Vergangenheit mit dem Argument „Wir haben auch Leichen im Keller“ habe verhindern wollen. Wenn jetzt ein Name für die „Neue Mitte“ gesucht werde, solle dieser auf die Rolle des jüdischen Gewerberings verweisen, dessen Händler erst den aufstrebenden Handel in die einst „arme Bauernstadt“ Vilbel gebracht hätten. Raphael Zur ist den Streit und die Jahre der Anfeindungen leid. „Ich brauche keinen Krach mit den Menschen – es ist ja nicht meine, sondern die Bad Vilbeler Geschichte“, betont er.

INFO:  Zwei bieten Hilfe an

Für die geplante Ausstellung hat auch Rafael Zur noch keine Pläne – aber schon zwei Mitstreiter, die sich um die Gestaltung kümmern wollen: Rolf Seubert, im Jahr 2000 Sprecher einer Initiative, die sich für eine Gedenktafel für den ehemaligen jüdischen Stadtschulleiter Albert Chambré einsetzte, und Professor Marcus Gräser, den Zur noch als Juso in Bad Vilbel kennt.
Gräser ist inzwischen Vorstand am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Linz. Er bestätigt auf Anfrage seine Bereitschaft, an dem Museumsprojekt mitzuwirken, doch „wir sind da noch mitten im Nachdenken. Ich muss Sie da noch um etwas Geduld bitten, da ich ja nicht alleine mit der Sache beschäftigt bin und ich auch nicht so oft in Bad Vilbel sein kann.“ (dd)