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Sie bleiben bald draußen – Fahrgäste protestieren gegen Einsatz von alten Triebwagen mit Stufen auf der Niddertalbahn

Nidderau. Kleine Schweißperlen auf der Stirn von Uwe Fehre (52) zeugen von der Anstrengung. Gerade hat er seine Frau im Rollstuhl die Rampe zum kleinen Windecker Bahnhof hinaufgeschoben. Als kurz danach der Zug der Niddertalbahn einfährt, ist das Einsteigen für Raute Block-Fehre (72) und ihren Mann kein Problem: Die Zugbegleiterin fährt eine Rampe aus, die die zehn Zentimeter hohe Stufe und die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig überbrückt. Keine Minute nach der Einfahrt des Zuges sind die Rollstuhlfahrerin und ihr Gatte an Bord. Doch der neue Komfort, gerade erst vier Monate alt, wird in Kürze wieder teilweise Vergangenheit sein: Wenn ab Freitag (19. September) an den Wochenenden wieder Triebwagen statt Doppelstockzügen auf der Niddertalbahn unterwegs sind.

Erst vor drei Wochen hatten viele Menschen entlang der Bahnstrecke jubiliert: In offenen Briefen und Anrufen hatten Anwohner in Bad Vilbel, Schöneck und Nidderau gegen den Einsatz der alten, lauten und dreckigen Dieselloks der Baureihe 218 vor den Doppelstockzügen protestiert. Mit Erfolg: Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und die in der AG Nahverkehr Niddertal (AGNV) zusammengeschlossenen Anrainerkommunen und -kreise nahmen das Angebot der Bahn an, an Wochenende die schon früher auf der Strecke verkehrenden Triebwagen vom Typ 628 einzusetzen.

Bloß: Wer in die Triebwagen einsteigen will, muss zwei hohe Stufen erklimmen. „Wir waren richtig glücklich, als der Wochenendverkehr aufgenommen wurde“, sagt Uwe Fehre. „Jetzt können wir auch am Samstag einmal zusammen nach Frankfurt zum Einkaufen fahren“, ergänzt seine Frau Raute. „Das ist fantastisch.“ Die ehemalige Versicherungsangestellte leidet seit drei Jahren an einer Muskelerkrankung.

Das Wochenende ist die einzige Zeit, in der Ehemann Uwe mit seiner Frau etwas unternehmen kann. Dass den beiden die gerade gewonnene Freiheit in der Bahn nun wieder genommen wird, ärgert ihn maßlos. Mit ihrem „blanken Egoismus auf Ruhe“ verwehrten die Anwohner nun anderen die Nutzung der Niddertalbahn.

„Sehr verwundert“ über die Beschwerden der Anlieger ist auch Jochen Priem, der Sprecher des Fahrgastbeirates des Wetteraukreises. Er habe für das Lärm-Problem durchaus Verständnis – allerdings litten unter dem künftig schlechteren Reisekomfort nicht nur Rollstuhlfahrer. „Das ist im Alltag ein Riesenproblem.“ Auch für Mütter und Väter mit Kinderwagen, für ältere Menschen oder Fahrradfahrer seien die Stufen in den Triebwagen nur schwer überwindbar. Zumal: „Fast alle Bahnhöfe entlang der Strecke sind in den vergangenen Jahren barrierefrei ausgebaut worden – und nun wird es ausgerechnet beim Einstieg in die Züge wieder Stufen geben“, seufzt Priem. Insgesamt 52 Millionen Euro investierte die Bahn binnen zehn Jahren in Sanierung der 31 Kilometer langen Strecke.

Eine andere Lösung als die Triebwagen allerdings gibt es nicht, sagt RMV-Sprecherin Petra Eckweiler. Die Bahn habe kein anderes Fahrzeug angeboten „und wir können uns keins aus den Rippen schneiden“. Auf den Nachteil der fehlenden Barrierefreiheit habe man extra hingewiesen. „Was ein Vorteil für die einen ist, ist für die anderen ein Nachteil.“ Allerdings werde die Barrierefreiheit bei der Ausschreibung „fürs Fahrplanjahr 2010 oder ein Jahr später“ festgeschrieben.

Das Argument von Bahn und RMV, dass es keine anderen Triebwagen gebe, lässt der Fahrgastverband Pro Bahn & Bus nicht gelten. „Natürlich gibt es leisere Modelle auf dem Markt“, sagt der Sprecher des Verbandes in Hessen, Friedrich Lang. Wenn die Bahn keine übrig habe, könne sie doch den Wochenendverkehr einfach der Hessischen Landesbahn überlassen. Deren moderne, leichte Dieseltriebwagen seien am Wochenende frei.

Die Entscheidung, am Wochenende auf Triebwagen umzustellen, habe man sich „nicht leicht gemacht“, sagt Nidderaus Bürgermeister Gerhard Schultheiß (SPD). Er ist Vorsitzender der AGNV. (den)