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Thema Ehrabschneidung

War es freie Meinungsäußerung oder Schmähkritik, als die SPD der Stadt vorwarf, diese habe Verhandlungen zur Neuen Mitte hinausgeschoben – und finanziellen Schaden verursacht? Nachdem das Verwaltungsgericht (VG) Gießen eine Klage des Magistrats gegen die SPD-Äußerung abwies, geht die Stadt mit dem Hessischen Städte- und Gemeindebund vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel in Berufung.

Bad Vilbel. Es handele sich um sachliche Äußerungen und politische Bewertungen, fanden die Gießener Richter. Die Annahme, der Kaufvertrag sei „grundlos verzögert worden“, sei „nicht ganz fernliegend“. Hintergrund des Streits war der Verkauf städtischer Grundstücke am früheren Zentralparkplatz an die Humanistische Stiftung zum Bau der Neuen Mitte. Dazu gab es einen Akteneinsichtsausschuss, bei dessen Bewertung die beklagten Äußerungen fielen.

„Falsche Tatsachenbehauptungen und ehrabschneidende Behauptungen können wir so nicht stehen lassen“, entgegnet Erster Stadtrat und Rechtsdezernent Jörg Frank (CDU). In den Äußerungen der politischen Opposition über den Bau der Bibliotheksbrücke seien Magistratsvertreter als Straftäter dargestellt worden.

Urteilüberprüfung

Die Stadt habe den Hessischen Städte- und Gemeindebund (HSGB) um eine Überprüfung des Urteils gebeten. Man sei gemeinsam zu dem Entschluss gekommen, „dass wir das Urteil und seine Begründung vom VG Gießen für nicht richtig halten, weil die Faktenlage und Beantragung zum Akteneinsichtsausschuss eine andere war, als sie das Gericht beurteilt und außerdem die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Magistratsmitglieder vom VG Gießen nicht richtig beachtet wurden.“ Deswegen gehe die Stadt nun vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel in Berufung, beschloss der Magistrat in seiner jüngsten Sitzung. Der HSGB werde die Prozessvertretung übernehmen, so Frank.

Das sei erforderlich, weil die Stellungnahmen von Grünen und SPD zum Akteneinsichtsausschuss „ehrabschneiderische Behauptungen“ enthielten, die „geeignet sind, handelnde Personen der Stadt in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“, erläutert Frank. In Zeiten des Internets würden solche die Persönlichkeitsrechte verletzenden Äußerungen an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen verbreitet und blieben unlöschbar im weltweiten Netz.

Grenze überschritten?

„Dagegen müssen Magistrat und Bürgermeister ein Gegengewicht setzen und sich wehren“, betont Frank. Während Wertungen oder Einschätzungen im politischen Bereich als Teil der politischen Auseinandersetzung anzusehen seien, würden „bei falschen Tatsachenbehauptungen, die ganz bewusst ein schlechtes Licht auf handelnde Personen werfen sollen, die Grenzen des Tolerierbaren überschritten.“

Der Rechtsdezernent übt Gerichtskritik, da in der Urteilsbegründung des VG „anerkannterweise falsche Tatsachenbehauptungen indirekt bekräftigt werden, so wie sie zum Bau der Neuen Mitte und der Bibliotheksbrücke von Seiten der Opposition getätigt wurden.“ Wenn sich die Verwaltung „nicht mehr gegen offenkundig falsche Behauptungen juristisch zur Wehr setzen kann, ist dies ein schlechtes Zeichen für die Bürger“, meint Frank. Die Bürger hätten einen Anspruch auf sachliche Informationen und nicht auf Manifestierung falscher Behauptungen. Wann der Fall vor dem höheren Gericht in Kassel verhandelt wird, ist noch offen.