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Von der Last nachtragend und unfrei zu sein – Das Wort zum Sonntag

Kürzlich las ich einen Artikel über den Werdegang von Michael Ballack. 1990, im Jahr der deutschen Wiedervereinigung, sagte er als 13-jähriger Jugendspieler des Chemnitzer FC: „Mein Traum ist, einmal bei Werder Bremen zu spielen.“ In einem Kommentar schrieb der Reporter, wie undankbar es doch sei, den Verein zu verlassen, der ihn so gefördert hat. Auch in der Öffentlichkeit reagierte man mit Empörung. Ballack hat mit diesem Reporter nie mehr gesprochen. Als er 7 Jahre später Chemnitz verließ, sprach ihn der Reporter an: „Micha, nun muss aber irgendwann gut sein.“ Aber Ballack, so schreibt der Artikel, sagte nur: „Gar nix ist gut.“ Es gibt Kränkungen, die hinterlassen Spuren in unserem Leben und lassen sich nicht einfach abschütteln. Wir alle können von kleinen und großen Kränkungen ein Lied singen. Wir können nicht verhindern, dass Menschen uns kränken. Wir können aber mit dazu beitragen, dass diese Kränkungen unser Handeln nicht negativ beeinflussen. Nur wie?

Ich möchte es in einem Bild sagen: Wenn jemand mich kränkt, dann trage ich es ihm nach. Und zwar ganz wörtlich verstanden. Es ist so, als trage ich ihm einen Sack mit schweren Steinen nach. Ich rufe mir das Unrecht immer wieder ins Gedächtnis. Ich leide unter bitteren Gefühlen. Kurz: Es kostet mich einige Energie, dem anderen sein Unrecht nachzutragen. Was wir dabei gar nicht merken ist, dass der andere dadurch Macht über unsere Gedanken und Gefühle bekommt. Bestimmte Situationen führen dazu, dass wir völlig überreagieren. Wir sind nicht wirklich frei. Und die Ironie ist: Derjenige, der uns gekränkt hat, leidet daran viel weniger als wir selbst. Er sieht vielleicht gar nicht, dass er uns verletzt hat. Wie kann ich davon frei werden? Jesus hat in diesem Zusammenhang immer wieder von der Vergebung gesprochen. Vergeben heißt: Den anderen loslassen. Ich nenne das Unrecht weiter Unrecht, ich verharmlose nichts. Aber ich akzeptiere es als vergangen. Nun wird mancher sagen: „Leichter gesagt als getan!“ Das stimmt. Als Christen vertrauen wir darauf, dass Gott einmal alles ans Licht bringen wird. Wo wir dies an ihn delegieren, werden wir selbst frei, den Menschen ihr Unrecht nicht mehr nachtragen zu müssen. Meine Frage lautet: Gibt es Menschen, denen Sie eine Kränkung nicht mehr nachtragen wollen?

Pfarrer Jens Martin Sautter,

Ev. Christuskirche Bad Vilbel